Musik + Fußball = Chelsea

Chelsea-Besitzer Othmar Bajilicz

Hüsker Dü, New Model Arm, Public Image Limited, The Smiths waren Bands mit denen man Mitte der 80-er punkten konnte, wenn man sich als anglophiler Musikkenner beweisen wollte. Das Problem war nur, wo sie zu hören waren bzw. wo man Gleichgesinnte treffen konnte. Eines der Musiklokale, die damals starteten war das Chelsea. heute, 30 Jahre später gilt das Gürtellokal noch immer als wichtige Adresse in Sachen Indierock und Besitzer Othmar Bajilicz pilgert noch immer nach London, um dort neue Bands zu sehen.

„Das Chelsea entstand eigentlich aus der Not, da ich seit frühester Jugend begeisterter Musikfan, Plattenkäufer und Konzertgeher war und es in Wien kein richtiges Musiklokal gab. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, da ich mit Gastronomie nichts am Hut hatte, aber wie man sieht, ist es gut gegangen“, sagt der Mann mit dem jugendlichen Aussehen, der doch schon so lange in der Szene mitmischt. Begonnen hat alles im Jahr 1986 in der Piaristengasse  im 8.Bezirk, als Chelsea Gründer Othmar Bajlicz seine Idee umsetzte, ein Livemusik-Lokal zu eröffnen. Es war damals ein Novum, dass in Clubatmosphäre täglich wechselnde DJs Platten auflegten und heimische Underground-Bands wie Pungent Stench, Hans Platzgumer, Fuckhead, The Extended Versions oder Fetish 69 dort Auftrittsmöglichkeiten erhielten. Weil sich der Club im Keller eines Wohnhauses befand, war klar, dass es bald Probleme geben würde und so griff der damalige Neolokalbetreiber schleunig zu, als er das Angebot bekam, die damals neu renovierten Stadtbahnbögen am Wiener Gürtel zu bespielen. An das langwierige Procedere will sich der Musikfreak nicht mehr gerne zurückerinnern, Tatsache ist, dass das Chelsea Anfang Juni 1995 in die größere und besser geeignete Location in den U-Bahnbögen 29-32, am Lerchenfelder Gürtel, übersiedelte. War es damals eine übel beleumundete Gegend, so zog der Musikclub doch auch andere Gastronomiestätten an und war eine zeitlang einer der Hot Spots von Wien. Im Moment gibt es wieder einige Probleme mit Drogenhandel rund um die U-Bahnstrecke und wilde Gerüchte in den Boulevardmedien, aber Bajilicz bleibt gelassen, wenngleich er in einer Beziehung besonders streng ist: „Wir haben Security, bei uns herrscht zero tolerance Drogen gegenüber.“
Das Sympathische am Chelsea, ist, dass es sich selbst über die Jahre treu geblieben ist: zuallererst natürlich in musikalischer Hinsicht, wo noch immer Gitarrenrock bzw. Punkrock dominiert, aber auch in der Innenausstattung und Außenwirkung. Der Club könnte als Klischee eines Rocklokals durchgehen, wenn er es nicht täglich leben würde.  An den Wänden Plakate, auf den Toiletten Graffiti, lässiges Team, Bier, Fußball und eine gute Licht- und Tonanlage. „Bands fühlen sich bei uns gut aufgehoben und kommen immer wieder auf Gigs, auch wenn sie woanders in viel größeren Hallen spielen, denn die Identität passt zur Atmosphäre“, verweist der Chef, der gemeinsam mit David Krispel für das Booking verantwortlich ist, auf die Treue der Bands. Namen wie Attwenger  oder Christoph & Lollo fallen in diesem Zusammenhang, aber dass auch internationale Musiker gerne noch auf einen Absacket vorbeischauen, ist auch kein Geheimnis. Jeder begegnet jedem auf Augenhöhe, Musiker wie Gäste sind gleichbedeutend und das man in dem ca. 200 Konzertbesucher umfassenden Raum potenzielle Stars zum Angreifen nahe ist, ist auch kein Nachteil. „Bei uns war Beth Dito mit ihrer Band Gossip schon zweimal aufgetreten, bevor sie zum globalen Star wurde, ebenso wie Soundgarden und ähnliche Kaliber, das hat etwas für sich, Bands in so einer intimen Location zu erleben“, freut sich der passionierte Konzertgeher. Als Entdecker neuer Musik sieht er sich nicht, wenngleich er öfter im Jahr in London vorbeischaut, um die eigenen Lieblingsbands zu hören bzw. zu überprüfen, was gerade abgeht.  „England ist das Mutterland der Popkultur, mich begleitet Musik mein ganzes Leben, zum Teil erlebe ich schon die vierte Generation mit, aber solange es mir Spaß macht, tue ich weiter“, reißt er mit seiner Begeisterung förmlich mit. Nichts von „been there, done that“- Gehabe, das langjährige Branchenleute oft ausmacht. Einer der Erfolgsfaktoren, wenn man diesen Marketingbegriff verwenden will, ist sicherlich die jahrzehntelange stringente Musikprogrammierung und wenn auch   vieles, das in den Anfangszeiten des Chelsea noch als ausgeflippt galt  mittlerweile im Mainstream Einzug gehalten hat, so wird im Chelsea weiterhin auf die z.t. störrische Indieschiene gesetzt. Und damit das auch so bleibt, steht Bajilicz jeden Tag in seinem Lokal und schaut nach dem Rechten. Und so wie zu London die Kings Road gehört (die sich im Stadtteil Chelsea, Namenspatron für das Lokal, befindet), huldigt man der zweitwichtigsten Freizeitbeschäftigung vieler, vor allem männlicher Menschen, dem Fußball. Herzstück  der Übertragungen ist klarerweise die englische Premier-League, aber man hat beim Musikprogramm sehr wohl die wichtigsten Spiele der CL bzw. der kommenden EU-Meisterschaft im Auge. Vielleicht nicht alle so im Überblick wie Bajlicz, der selbst auf eine Karriere als Profi-Kicker zurückblicken kann, aber der Lärmpegel bei gewissen Partien ist mindestens ebenso hoch wie bei manchen Konzerten. Laut ist es auch am Wochenende, wenn die Studentencrowd einfällt und hier regelmäßig abfeiert. Keine Angst vor Verwässerung, im Gegenteil, die Einnahmen daraus werden gebraucht, um Newcomern eine Chance zu geben. Wie hoch das Risiko ist, einen Musikclub ausgeglichen führen zu können, will Bajilicz nicht in Zahlen fassen, aber als Geschäftsmann, der er seit Jahren ist, scheint er es ganz gut im Griff zu haben. Beim Booking wird  mittlerweile mit sehr vielen Agenturen zusammengearbeitet, das ergibt auch eine gewisse Sicherheit,  denn immerhin umfasst das überwiegend studentische Team an die 10 Leute. Die werden Ende Mai genug zu tun bekommen, wenn das Chelsea zur 30-Jahre-Feier lädt. Noch ist unklar, ob das Wiener Magistrat seinen Segen zu Open Air-Konzerten gibt – „eh nur bis 22 Uhr“ – aber in jedem Fall wird an diesen drei Tagen der Musik gehuldigt, im Juni steht dann eh Fußball im Mittelpunkt.

Ihre ersten Wien-Konzerte spielten u.a.im Chelsea:
DIE GOLDENEN ZITRONEN (D), SOUNDGARDEN (USA), WRECKLESS ERIC (UK), CORNERSHOP (UK), SPORTFREUNDE STILLER (D), TURBONEGRO (NOR), DIE STERNE (D), MADSEN (D), THE NATIONAL (USA), TV SMITH (UK), GRANDADDY (USA), WIR SIND HELDEN (D), PEACHES (CAN), GONZALES (CAN), SLEATER-KINNEY (USA), GOSSIP (USA), I AM KLOOT (UK), THE WOMBATS (UK), COURTNEY BARNETT (AUS), METRONOMY (UK), SLEAFORD MODS (UK)

30 Jahre Chelsea
25.-27. Mai
Mit: Freud, We Walk Walls, Chrsitoh & Lollo, Sex Jas, Eleanor Friedberger, Dada, White Miles, Wild Evils & The Trashbones mit täglicher DJ-Party