Oktober-Evolution auf Ö1

Ö1-Chef Peter Klein, im Hintergrund Musiker & Komponist Wolfgang Muthspiel

 

2017 feiert Ö1 seinen 50. Geburtstag. Aus diesem Anlass gönnt sich der Sender eine subtile Schema-Adaptierung, eine neue Website, eine Ö1-App sowie ein grafisches und musikalisches Facelifting. Wie sich die Innovationen auswirken und was er sich zum 50-iger wünscht, befragten wir Ö1-Senderchef Peter Klein.

Haben Sie schon Befürchtungen, dass Ihre Mailbox übergeht, weil sich die Ö1-HörerInnen über die neuen Signations beschweren werden?

PETER KLEIN: Habe ich ganz und gar nicht, da Wolfgang Muthspiel wirklich Grandioses geleistet hat, es ist ein kompositorisches Gesamtkunstwerk aus mehr als vierhundert klingenden Miniaturen. Die gemeinsame Arbeit, die von Ö1-Seite maßgeblich von Christian Scheib geleitet wurde, war eines der schönsten Projekte meiner gesamten Radiozeit. Es wird wie immer anfänglich ein Rumoren geben, aber ich denke, dass die Signations sehr genau zu Ö1 passen. Ich freue mich über Feedback, naturgemäß mehr über positives, aber wir nehmen die Anliegen, die es bei jeder Reform gibt ernst und versuchen entsprechend zu kommunizieren. Die Ö1-Hörerschaft ist eine ganz besonders treue, die ihren Sender liebt und entsprechend verteidigt und das ist gut so. Wir begleiten immerhin Stunde für Stunde, Tag für Tag und Woche für Woche den Alltag von mehr als 630.000 Hörerinnen und Hörern. Man darf ja nicht vergessen, dass jeder einzelne andere Vorlieben hat und unser Publikum höchst different ist, die einen können nicht genug Klassik bekommen, die anderen bevorzugen Wortsendungen, da muss man sehr behutsam und demokratisch einen Mittelweg finden.

Offenbar kommt diese bunte Mischung gut an, denn sonst könnte ich ja auch einen reinen Klassiksender hören, spüren Sie diese Konkurrenz vornehmlich aus dem digitalen Bereich?

KLEIN: Wir wollen ein möglichst breites Feld von allem in höchster Qualität anbieten, aber wenn das jemand nicht goutiert, braucht er nur auf den Ausschaltknopf zu drücken. Das Internet mit seinen unglaublichen Angeboten, auch auf dem Radiosektor, wird sicherlich ein in Zukunft brennenderes Thema sein, im Moment merken wir keine Abwanderung. Ganz im Gegenteil, wir legen zu, stehen im Moment bei einer Tagesreichweite von 8,1 %, wobei erst im nächstjährigen Radiotest die Ö1-Reformen analysiert werden können.

Inwiefern kann man von den Signations auf den Sender schließen?

KLEIN: Wolfgang Muthspiel wurde dafür beauftragt, weil er als Musiker und Komponist ähnlich offen ist wie das Programm von Ö1: Er bewegt sich gekonnt zwischen den Genres Klassik, Jazz, Weltmusik und das und noch viel mehr bietet der Sender. Gewisse Grundpfeiler müssen hörbar sein, denn die Signations sollen ja für längere Zeit on Air bleiben, eine Zeit, in der sich möglicherweise musikalische Trends verändern, wir aber trotzdem einen zeitgemäßen, musikalischen Auftritt haben. Ö1 definiert sich mit seinem neuen akustischen Design nicht nur als Sender, der Kultur, Information und Musik transportiert, sondern auch als Kunstraum, in dem das Werk eines zeitgenössischen österreichischen Künstlers über viele Jahre hindurch ausgestellt bleibt.

Wie lange dauert es, bis die neuen Signations im Ohr verhaftet sein werden?

KLEIN: Gute Frage, kommt darauf an, wie intensiv man Radio hört, aber nach zwei bis drei Monaten sollte man sie gut erkennen können.

Weil wir vorhin schon kurz das Thema Digitalisierung streiften, was macht Ihr Sender, was kann die Gattung Radio generell machen, um jüngeres Publikum zu generieren?

KLEIN: Dass Ö1 kein Jugendsender ist, ist klar, im Schnitt sind unsere Hörer 56 Jahre alt, wobei Alter nicht viel über Interesse aussagt. Unsere Hauptzielgruppe ist quasi eine Generation jünger als die Rolling Stones, aber sollen wir die auch auf unserem Sender spielen, weil sie selbst schon Klassiker sind? Ist Leonhard Cohen am Morgen erlaubt aber 12-Ton-Musik eher nicht? Was ist im 21. Jahrhundert überhaupt klassische Musik? Das sind programmliche Fragen mit denen wir uns auseinandersetzen, um unserer Aufgabe als öffentlich-rechtlicher Kultur- und Informationssender gerecht zu werden. Aber ich denke, dass wir uns bei der Erreichung jüngerer Zuhörer eher auf der technischen Seite orientieren müssen. Die jüngeren Hörerinnen und Hörer haben kein Radiokastl in der Küche stehen, sondern konsumieren Inhalte über andere Devices und auch keinesfalls mehr zu festgesetzten Zeiten. Darum wissend haben wir heuer unsere Website neu gestaltet und seit Oktober gibt es auch die Ö1-App, sodass man unsere Sendungen jederzeit und überall auf seinem Smartphone hören kann.

Was wünschen Sie sich für Ihren Sender zum 50-iger?

KLEIN: Dass wir weiterhin unseren gesellschaftlichen Auftrag so erfüllen können wie bisher, nämlich zu informieren, den öffentlichen Diskurs zu forcieren und allen relevanten Positionen ein adäquates Forum zu bieten. Und ein Herzenswunsch, weil wir auch gerade von den moderneren Formen des Radiohörens gesprochen haben, ist der Wegfall der 7-Tage-Regelung für ORF-Content. Wir werden durch Gebühren finanziert, daher sollten die Menschen die Möglichkeit haben, jederzeit den ihnen zustehenden Inhalt konsumieren zu können.

 

 

Ein kulturelles Statement

Das Werk, das Muthspiel zum 50. Geburtstag von Ö1 geschaffen hat, ist gewaltig. Es umfasst – von der Senderkennung über die Journale bis zur „Ö1 Klassiknacht“ – etwa 200 eigenständige Signations. Einschließlich aller Zwischenstücke, aller Mutationen und Variationen, hat der im Jazz wie in der Klassik beheimatete Künstler weit mehr als 400 musikalische Miniaturen geschrieben, arrangiert und eingespielt. Teilweise mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, teilweise mit der Crème de la crème österreichischer Solisten – darunter seinem Bruder, dem Gitarristen Wolfgang Muthspiel –, teilweise mit Tönen und Phrasen von Kolleginnen und Kollegen aus aller Herren Länder aus seinem eigenen Archiv. Die konkrete Arbeit an den Kennmelodien hat ein volles Jahr gedauert. Die Vorbereitungsphase war noch um einiges länger. Unzählige Gespräche über Stil, Anmutung und Funktion von Signations wurden geführt, Prozedere und Logistik der Aufnahmen mussten entwickelt werden. Muthspiel entschied sich dafür, sämtliche Ö1 Signations ausschließlich mit echten Instrumenten (darunter auch elektroakustische wie E-Gitarre, E-Bass und E-Piano) und echten Stimmen aufzunehmen, ohne Verwendung von Samples oder Synthesizern.

Um dem Publikum ein einladendes akustisches Bild zu bieten, wurden auch neue Stimmen für die Signations gesucht, die perfekt zur neuen Musik passen. Signationtexte zu sprechen gehört zum Schwierigsten in dieser Branche, denn mit der Verbalisierung eines Titels muss die Stimmung einer Sendereihe ebenso wie die Dramaturgie der Signationmusik präzise getroffen werden. Zu hören sind nun Marie-Luise Haugk, Észter Hollósi, Kristóf Gellén und Irina Wanka. Auch die Stimme der Senderkennung ist eine neue, und zwar die von Christoph Grissemann, der damit seinen Vater Ernst Grissemann als Ö1 Stationvoice ablöst. Für die Reihentitel der Ö1 Sendereihen wurden rund 1800 Wortaufnahmen gemacht, die auf mehr als 420 Files appliziert wurden. Insgesamt wurde dafür rund 150 Stunden lang im Hörspielstudio des ORF aufgenommen, geschnitten und gemischt.