Paradies vor Augen, Albtraum im Kopf

Ist die erste Überraschung vorbei (Josef Hader als Schriftsteller Stefan Zweig) wird man in diesen zweiten Film der Regisseurin Maria Schrader förmlich hineingezogen. Sie schafft es, ein längst vergangenes Kapitel heutig erscheinen zu lassen, die Gedankenwelt über die überwuchende Natur zu stellen und nebstbei einen klugen Kommentar zum Thema Flucht & Exil abzuliefern.  So präzise wie sie in ihren Filmen vorgeht, tut sie dies auch im Gespräch: überzeugend, logisch, nachvollziehbar, charmant.

Beginnen wir gleich mit der offensichtlichsten Frage: Wie kamen Sie auf Josef Hader als Hauptperson?
MARIA SCHRADER: Ich verstehe, dass dies in Österreich die erste Frage ist, hier ist er ja ein Superstar, aber auch in Deutschland ist er sehr bekannt, sowohl für seine Kabarettprogramme sowie für seine Filme. Es war auch für mich eine Überraschung, als das erste Mal sein Name in Zusammenhang mit Stefan Zweig fiel, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger konnte ich mir jemand anders vorstellen. Wir haben uns dann sehr früh getroffen, mehr als ein Jahr vor den Dreharbeiten, ich war nervös, weil ich Angst hatte, er könnte mir absagen. So ein Film ist ja eine fremde Welt für ihn, der sonst an den Drehbüchern, an den Figuren mitschreibt. Aber die Entscheidung fiel sofort, er sagte‘ ich verstehe gut, warum Du mir das anbietest‘. Ich wollte keinesfalls ein herkömmliches Biopic machen und auch aus diesem Grund ist Hader die perfekte Wahl. Er ist ein heutiger prominenter österreichischer Künstler, er eine gesellschaftliche Haltung bezieht, auch politisch, er ist selbst Autor, dadurch begegnet er Stefan Zweig auf Augenhöhe. Das ist in meinen Augen ein interessanter und moderner Ansatz.   Es mag überraschen, gerade die Überraschung gefällt mir. Ich bin immer neugierig, wenn jemand, von dem ich ein bestimmtes Bild habe, etwas ganz anderes auf ein Mal tut, hier wird man  mit meiner Begeisterung über den Schauspieler Hader bestimmt konform gehen.
Sie haben offenbar sehr genau und lange recherchiert, wir kamen Sie gerade auf die ausgewählten fünf Episoden aus dem Leben von Stefan Zweig?
SCHRADER: Alle diese Sequenzen drehen sich um das Thema Exil, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Der Prolog ist die erste Begegnung mit Brasilien 1936, hier entdeckt er sein  „Land der Hoffnung“.  Zwei Jahre zuvor hatte er Österreich schon verlassen und in England sein erstes Exil gefunden. Die  erste Szene dann auf dem PEN Kongress erzählt von seiner beginnenden Sprachlosigkeit  angesichts einer radikalisierten und polemischen Atmosphäre, die sich gegen Deutschland richtet und in die er nicht mit einstimmt.  In der zweiten Szene im Zuckerohr ist der Krieg längst ausgebrochen, das Exil zeigt seine Zähne. Die Aufspaltung wird sichtbar,  physisch in Brasilien und gedanklich in Europa zu sein. Die Zerrissenheit zwischen eigener Arbeit und der Anstrengung, Anderen aus der Entfernung zu helfen. Die folgende New York- Sequenz  zeigt das private Exil, die Begegnung mit der Exfrau, die ihm 20 Jahre lang Heimat war, die mit ihren Töchtern nach New York fliehen konnte und dort ein neues Zuhause installiert – eine Familie, zu der Zweig jetzt nicht mehr gehört. Dann folgt die Entscheidung, sich mit seiner zweiten Frau in Brasilien nieder zu lassen, die Enttäuschung und Ernüchterung über dieses Land und schließlich seine Vereinsamung. Von einem Paradies umgeben zu sein und und von dem Albtraum im Kopf verfolgt zu werden. Das waren unsere Themen und so kam es zu dieser Zusammenstellung. Es ist ein Mosaik, das erahnen lassen soll, wie viel mehr und wie viele andere Situationen von ähnlicher Komplexität es in Zweigs Leben gegeben haben muss. Es sind Miniaturen, von Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ angeregt.
Was würde Zweig zum heutigen Europa sagen, das eine lange, friedliche, gemeinsame Zeit hatte und nun offenbar wieder allerorten Zäune aufzieht, Grenzen errichtet?
SCHRADER: Stefan Zweig war ein Vordenker der Europäischen Union. Er träumte von einem Kontinent ohne nationale Grenzen, vom friedlichen  Zusammenleben der Völker in einer humanistischen und demokratischen gemeinsamen Heimat. Dafür arbeitete er sein ganzes Leben lag, schrieb Bücher über beispielhafte Europäer wie zum Beispiel Erasmus von Rotterdam. Als Faschismus und Rassismus in Europa die Oberhand gewannen, wollte er nicht mehr Teil einer solchen Welt sein. Wenn er tatsächlich die EU erlebt hätte, seine Wirklichkeit gewordene Utopie, würde er jetzt für ihre Erhaltung kämpfen.
Wie waren die Dreharbeiten, wo, wielange, Budget?
SCHRADER: Das war eine unglaubliche Erfahrung, aber um es in Zahlen auszudrücken: wir hatten ein Budget von 3,4 Millionen Euro, es gab 80 Sprechrollen, verteilt auf 7 Sprachen in 26 Drehtagen. Ich arbeite viel am Theater, wir haben die langen Szenen vorher geprobt, den Drehplan so gesteckt, dass wir immer wieder freie Tag für diese Vorbereitungen hatten. Gedreht wurde auf der Insel Sao Tomé, einer ehemaligen portugiesischen Kolonie in Afrika, die zwar für die tropische Natur und die europäische Architektur sorgte, die Stefan Zweigs letzten Wohnort Petropolis im tropischen Regenwald Brasiliens auszeichnete, aber über keine Infrastruktur verfügte. Es musste quasi jede Schraube hintransportiert werden. Mein Wunsch war es, einen sehr sinnlichen Film zu machen, mit einer direkten, unmittelbaren Bildsprache. Dem großartigen Kameramann Wolfgang Thaler ist es gelungen, dass man gleichsam in die Szenen eintaucht, die Hitze, die Natur, die überfüllten Säle, den Zigarettenrauch, die vertraute wie die fremden Umgebungen spüren kann.
Zweig war zu seiner Zeit bekannt und vor allem auch hochverehrt, er wurde herumgereicht wie heutzutage Sportler oder Stars aus dem Film- Fernsehbereich. Fehlen unserer Zeit die großen, intellektuellen Geister bzw.  wo sind sie geblieben?
SCHRADER: Es ist wahr: Dass er 1936 das erste Mal in Brasilien gelandet ist, seine Bücher aber bereits so eine Bekanntheit hatten, dass über zweitausend Menschen zu seiner Lesung drängten, ist schon unglaublich und heute kaum mehr denkbar bei einem Schriftsteller. In der Gegenwart fällt mir ganz spontan Roger Willemsen ein, dessen Tod eine wirkliche große Lücke in der deutschsprachigen intellektuellen Welt hinterlässt. Er hat Literatur, Politik,  Musik mit solch einem lebendigen Blick betrachtet, er war ein ewig neugierig Reisender, ein ‚Citoyen du Monde‘ wie Stefan Zweig. er war ein Fachmann auf so vielen Gebieten, sein Blick war immer emphatisch, und worüber er berichtete, machte Lust sich genauer damit zu beschäftigen. Mag sein, dass es zuwenig von solchen Vorbildern gibt, sind wir froh, um die wir haben.

VOR DER MORGENRÖTE ( jetzt im Kino)

Foto: Christine Fenzl