Tempo, Tempo, Tempo!

Einer der drei Regisseure der Mammutserie „Babylon Berlin“: Achim von Borries

 

Auf einen Wahnsinnstrip wollen einem die Macher – die Autoren & Regisseure Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries der deutschen Megaserie „Babylon, Berlin“ mitnehmen. Nach den ersten Eindrücken, kann man nur sagen, Aufgabe hervorragend gelungen. FSM traf Achim von Borries in Wien zum Interview.

 

Wie kann man sich die Zusammenarbeit von gleich drei Drehbuchschreibern und Regisseuren vorstellen?

ACHIM VON BORRIES: Nachdem wir zweieinhalb Jahre am Buch miteinander gearbeitet haben, waren und sind wir ein sehr eingespieltes Team, aber es war für alle Beteiligten eine extreme Herausforderung: wir waren permanent on Locations, drehten oft parallel an verschiedenen Orten und waren durch das große Erzähltempo, das ständig Orte wechselt, doch ziemlich gefordert. Das rasante Lebensgefühl der Zwanziger, dieser Hexenkessel aus Arm und Reich, aus Lebenslust und –verdruss, diese Stimmung filmisch wiederzugeben, war für alle im Team mit größter Leidenschaft verbunden.

Von welchen Dimensionen sprechen wir da?

VON BORRIES: Es wurde durchgehend von Mai bis Dezember 2016 gedreht, insgesamt fünf Blöcke. Wir Regisseure haben uns dabei nicht nach Epsioden, sondern wie bei einem Spielfilm nach Drehorten aufgeteilt. Szenenbilder, Kostüm oder Maske waren permanent am Set, es gibt 200 Sprechrollen, insgesamt knapp 10000 Mitarbeiter, es wurden 280 Sets ausgestattet und das alles bei einem Budget von unter 40 Millionen Euro. Wenn man das auf Minuten runterrechnet, ist man in etwa bei den Kosten eines normalen, historischen Spielfilms. Wir hatten Glück, es gab keine Ausfällte, allein der Drehplan war natürlich eine logistische Herausforderung bei so vielen Schauspielern. Dass wir alles hinbekommen haben, ist im Nachhinein manchesmal unvorstellbar.

Es gelang aus einem relativ simplen Kriminalroman ein Sittengemälde des Berlin der 1920-er Jahre zu entwerfen. Was mussten Sie schon beim Schreiben beachten?

VON BORRIES: Es ist erstaunlich, wie wenig Filme es über diese Zeit gibt, obwohl doch genügend literarische Vorlagen vorhanden sind. Das Buch ist ein spannender Krimi, aber dass daraus ein Mehrteiler wird, erforderte neben der aufwändigen Recherche auch Fantasie. In einer Serie muss hinter jeder Figur eine zweite Ebene zu erkennen sein, es müssen überraschende Aspekte eingebaut werden, um die Spannung zu halten, vom Klimax zur Katharsis und das in jeder Folge. Und natürlich ist Berlin die größte Faszination im Film. 1929 war die Reichshauptstadt ein internationaler Ort, magisch, kosmopolitisch und – ähnlich wie heute – ein Ort, der alle Welt anzog. Dieses Berlin der späten 20er Jahre für die Serie wieder zu erschaffen war eine ziemliche Herausforderung. Die Neue Berliner Straße, die unser Szenenbildner Uli Hanisch für uns und Studio Babelsberg entworfen hat, machte es uns möglich, Straßenzüge von verschiedensten Stadtteilen Berlins zu bespielen.

Welche Parallelen könnte man zum heutigen Berlin ziehen bzw. zur heutigen Gesellschaft?

VON BORRIES: Berlin ist ein Mythos, ist eine Partymetropole, zieht junge Menschen aus der ganzen Welt an. Was damals das Moka Efti war, ist heute das Berghain. Auch politisch sind die Stränge unübersehbar. Damals wie heute brodelt es, franst die Gesellschaft in alle Richtungen aus, Schuld sind immer „die anderen“ – aus welcher Perspektive auch immer – , viele Bürger sehen die Lösung nur mehr in Autorität und Nationalismus. Allerdings haben wir versucht, die Serie nicht aus unserem historischen Wissen zu erzählen. Hitler kommt in den ersten beiden Staffeln genau einmal vor und auch da nur in einem Witz, trotzdem man spürt schon die Umbrüche, die Stimmung verfällt angesichts der kommenden größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Dieser Tanz auf dem Vulkan, der eine Explosion an künstlerischen Kräften und Genres hervorrief, ist quasi der rote Faden durch alle Episoden.

Die Serie wurde schon vor der Ausstrahlung weltweit erfolgreich verkauft, woran liegts?

VON BORRIES: Ich glaube der Mythos Berlin, der spezielle Berliner Flair hat da geholfen. Es gibt ja auch heute wieder weit über 100 Clubs, es wird gefeiert bis in den nächsten Tag hinein. Daneben wächst die Gruppe der sogenannten Liberalisierungsverlierer: Was ist denn das für eine Gesellschaft, in der man sich hip fühlt, wenn man ärmlich bezahlte Dienstleistungen für alles und jedes in Anspruch nimmt? Diesen Startup-Coolness-Faktor finde ich furchtbar. Aber um auf „Babylon Berlin“ zurück zu kommen, ich denke es liegt daran, dass es uns gelungen ist, ein Stück deutscher Zeitgeschichte mit einem hohen Maß an ungewöhnlicher Unterhaltung zu verbinden und dabei vor auch noch international und modern zu erzählen. Große Schauwerte, vielschichtige Figuren und ein musikalisches Feuerwerk lassen die Zuschauer eintauchen in die Berliner Gesellschaft, in eine pulsierenden Stadt, in der damals die ganze Welt zu Hause war.

Vergleiche drängen sich mit der hervorragenden Serie „Boardwalk Empire“ auf, in der u.a. die Musik eine ebenso große Rolle spielt, gewollt?

VON BORRIES: Das ist eine ganz toll gemachte Serie, die zu ähnlicher Zeit spielt und wenn man BB damit vergleichen will, sehr gerne.

Weil Sie gerade Musik erwähnten, wie kamen Sie auf die Figur der Sängerin, eine Huldigung an Grace Jones, Marlene Dietrich und selbstverständlich David Bowie?

VON BORRIES: Der Soundtrack ist das große Steckenpferd von Tom und Henk und ja die Sängerin Nikoros – gespielt von Severija Janušauskaitė – ist mit ihrem Auftritt eine Huldigung an David Bowie, der ja seine Glanzzeit auch in Berlin hatte. Das Stück „Zu Asche zu Staub“ ist auch irgendwann während des Schnitts zu einem Leitmotiv geworden und der Abspann vieler Folgen. Der Song hat sicherlich Hitpotenzial. Aber es gibt insgesamt drei Säulen der Musik: neben den eigens komponierten Songs die life eingespielt werden, gibt es alten Aufnahmen und es gibt natürlich den fantastischen Soundtrack von Tykwer und Klimek: ein Brückenschlag zur Gegenwart, mit seinen Elementen aus elektronischer Musik. Das Verbindende ist der Rhythmus, 160 Beats per Minute bedeutet Tempo, Tempo, Tempo!

Foto: Daniel Mikkelsen

 

KASTEN

BABYLON BERLIN erzählt auf Basis der international erfolgreichen Bestseller-Reihe von Volker Kutscher um Kommissar Gereon Rath im Berlin der 1920er Jahre das ganze Panoptikum der aufregendsten Stadt der Welt zwischen Drogen und Politik, Mord und Kunst, Emanzipation und Extremismus. Als Autoren und Regisseure zeichnen Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries für die Serie verantwortlich.

In den Hauptrollen sind Volker Bruch als Gereon Rath und Liv Lisa Fries als Charlotte Ritter zu sehen.

Entstanden ist BABYLON BERLIN in einer bis dahin in Deutschland nicht da gewesenen Konstellation: Initiiert wurde das Projekt von der Produktionsfirma X Filme Creative Pool, die als Partner und Koproduzenten ARD Degeto, Sky und Beta Film gewinnen konnten. Erstmals haben damit die öffentlich-rechtliche ARD Degeto und der Pay TV Sender Sky die Kräfte gebündelt, um in einer sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit gemeinsam mit Produktion und koproduzierendem Weltvertrieb dieses außergewöhnliche Projekt zu realisieren.