Ich glaube, du irrst dich

Was ist echt, was ist fiktiv, was ist Spiel, was ist Leben? Mit solchen Fragen beschäftigen sich naturgemäß SchauspielerInnen und deswegen ist die Hauptperson in dem neuen Roman von Katie Kitamura eine in New York lebende Theaterschauspielerin.
Zwei Menschen treffen sich zum Mittagessen in einem Restaurant in Manhattan. Sie ist eine gefeierte Schauspielerin, die für eine bevorstehende Premiere probt. Er ist attraktiv und beunruhigend jung. Was die Schauspielerin anfangs für den Annäherungsversuch eines Fans hält, nimmt bald eine erstaunliche Wendung: Xavier behauptet nämlich, er sei ihr Sohn – dabei hat sie nie Kinder bekommen. Als im selben Moment auch noch ihr Mann Tomas, ein erfolgloser Schriftsteller, im Restaurant auftaucht, wird ihr klar, dass Xavier ihr Leben aus den Angeln heben kann.
Das Besondere an diesem schmalen, psychologisch brillanten Roman ist die Diskrepanz zwischen genauester Beobachtung und Fantasie. Der Ich-Erzählerin entgeht nicht die kleinste Geste, sie reflektiert ständig ihr eigenes Tun und das der sie umgebenden Personen und trotzdem wird man nicht schlau. Ist alles doch nur ein Vexierspiel? Einerseits beschreibt sie in sehr klugen Sätzen das Zusammenleben mit einem erwachsenen Kind, andererseits hatte sie ja nie einen Sohn?
Es wird einem beim Lesen richtig spooky, sodass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand geben möchte.

Katie Kitamura: Die Probe (Hanser), übersetzt von Henning Ahrens Euro 23,-