Das spannende Roulette des Entertainmentbusiness

Auf Messen, als Interessensverteter, als Lehrender und vor allem als Literaturagent ist Günther Wildner seit Jahren tätig. Was die Buch- von der Musikbranche unterscheidet und wie sie voneinander profitieren könnten, erzählt er im ausführlichen FSM-Interview.

Sie kommen aus der Musikbranche, sind mittlerweile in der Literatur gelandet. Wie kam es dazu?
GÜNTHER WILDNER: Mein Schwager Thomas Raab, damals Musiker, hat eher zufällig ein Buch geschrieben und in diesem Fahrwasser eine erfolgreiche Autorenkarriere etabliert. Auf diese Weise kam ich auf der Künstlerseite in den Literaturbetrieb, den ich in seiner kulturaffinen Ausprägung und wertschätzenden Art sympathisch, realitätsnahe und, trotz mancher Einsprüche, zukunftsfit erlebe.
Seit wann gibt es den Beruf des Literaturagenten?
WILDNER: Der Beruf kommt aus dem angloamerikanischen Raum, ist seit Jahrzehnten aber auch in der deutschsprachigen Welt gebräuchlich und geschätzt, wohl vor allem von den AutorInnen. Obwohl auch Verlage das Vorab-Filter-System der Agenturen durchaus nützlich finden. In der Musik ist der Beruf des Künstlermanagers breit und umfassend angelegt, wohingegen im Buchbereich sich viele AgentInnen eher auf ihre Manuskriptmakler- und Inkassofunktion beschränken. Ich selber betreibe den Beruf des Literaturagenten wie ein Musikmanager, habe das große Ganze im Blick und packe an, wo immer es nötig ist.
Wieviele SchriftstellerInnen vertreten Sie?
WILDNER: Die Zahl ist volatil. Ich biete drei Dienstleitungen für AutorInnen an: Manuskriptvermittlung, Medienarbeit für Bücher und Lesungbooking. Je nach Bedarf und Möglichkeit übe ich diese Funktionen für verschiedene Projekte/Bücher und KünstlerInnen aus.
Wieviele Manuskripte lesen Sie jährlich?
WILDNER: Nachdem ich bei einer Googlesuche die erste erscheinende Literaturagentur bin, erhalte ich viele Angebote auf dem digitalen, unverlangten Weg, das können bis zu 500 Texte pro Jahr sein. Diese lese ich im Umfang von ein bis fünf Seiten an, zusätzlich begutachte ich das Exposé, um einen Eindruck vom Plot, der Buchmarktpositionierung und der Autorenvita zu bekommen. Fertig lese ich ein angebotenes Buch, wenn es hohe Qualität hat, und ich eine Chance auf Vermittlung sehe, das sind zwischen 20 und 30 Stück im Jahr. Dazu kommen Bücher, die von AutorInnen kommen, die mit mir bereits zusammenarbeiten. Schließlich lese ich alle Bücher, für die ich Medienarbeit mache.
Was ist Ihr Anteil am Erfolg eines Buches?
WILDNER: Dieser kann hinsichtlich des Manuskripts gering sein, wenn es perfekt bei mir ankommt. Bei gemeinsamen Entwicklungen von AutorIn und meiner Person können auch wichtige Hinweise, Ideen und lektorische Arbeiten von mir enthalten sein. Kann ich in der Folge ein Autorengesamtpaket vermitteln und wird es erfolgreich, fußt das auf meiner Initiative und meinem Know-how, andernfalls wäre das Werk vielleicht nie erschienen. Bin ich dann auch noch der Medienarbeiter für ein Buch, kann das den großen Unterschied machen. Freilich kommt es genauso vor, dass Projekt trotz hoher Medienaufmerksamkeit nur gering verkaufen. Wenn man das nur vorab wüsste und planen könnte! Hier beginnt ja das bekannte und spannende Roulette des Entertainmentbusiness, ein Spiel, das eine ungemeine Faszination auf alle Beteiligten ausübt. Für die Vermittlung von Manuskripten sind Beteiligungssätze von 15 bzw. 20 Prozent des Autorenanteils für die Agentur üblich. Aufträge für Medienarbeit werden pauschal gegolten, wie auch in der Musik üblich.
Welche Parallelen gibt es denn zwischen Musik und Literatur?
WILDNER: Gemeinsam haben beide Sparten, dass sie Kreativprodukte zu einem hoffentlich zahlenden Publikum durchkämpfen müssen: physisch wie digital. Dabei ringt die produzierende, vermarktende Seite mit den üblichen Gatekeepern: mit den momentan selber ums Überleben kämpfenden klassischen und nicht-klassischen Medien sowie der verringerten Aufmerksamkeitsschwelle und den diversifizierten Entertainmentbudgets des Publikums.
Wie gestalten sich die Unterschiede bei der Talentefindung?
WILDNER: Der Künstler- und Produktaufbau in den A&R-Abteilungen und den Lektoraten ist gleichermaßen marketinggetrieben, wobei die Musikbranche durch den mittlerweile beinahe komplett erfolgten digitalen Wandel sehr datenbezogen vermarktet und dabei Künstler*innen unter Vertrag nimmt, die bereits über Einnahmen garantierende Fankreise und Kommunikationskanäle verfügen – Genres werden dabei immer nebensächlicher. Im Buchbereich, wo das physische Produkt noch immer König ist und gottseidank noch immer eine ansehnliche, kleinteilige Handelslandschaft existiert, liegt das Hauptaugenmerk auf der Erhaltung dieses funktionierenden Systems. Der digitale Bereich ist Add-On und Experimentierfeld. In der Produktentwicklung geht die Buchbranche marktbeobachtend vor, wie die Musikbranche vor 20 Jahren: Welche Geschichten und Erzählstile liegen im Trend bzw. sind erfolgreich? Im Sachbuch werden bereits C- und D-Prominente auf Ihre Autoreneignung abgeprüft und angesprochen.
Was sind konkrete, messbare Unterschiede?
WILDNER: Da ist zunächst die Buchpreisbindung, der wir eine bunte Buchhandelslandschaft und den Erhalt des physischen Produkts verdanken. Weiters ist der Buchbereich bei der Umsatzsteuer mit dem ermäßigten Satz von 10% bevorzugt, zur Zeit sogar 5% aus Corona-Gründen. Recorded Music hingegen ist mit 20% Ust. belegt. Dann gibt es noch weniger bekannte Faktoren, wie den Umstand, dass die Musikbranche die Künstlerlizenzen vom HAP (Händlerabgabepreis beim physischen Produkt) berechnet, die Buchbranche das aber vom Nettodetailpreis (Verkaufspreis) tut.
Wie sehen Sie die Chancen im Hörbuch-Bereich?
WILDNER: Das ist ein recht stabiler Markt, der aus Autorensicht aber immer nur ein Zubrot sein kann. Er hängt komplett vom bisherigen Erfolg und der Marktstellung ab. Hörbuchverlage wissen, dass sie ca. 10 bis 20% des Buchverkaufes als Hörbücher absetzen können. Also werden bei den Buchverlagen Rechte eingekauft, die voraussichtlich 30.000 bzw. 40.000 Einheiten und mehr umsetzen, denn einen mittleren vierstelligen Hörbuchverkauf muss ein Projekt natürlich abwerfen, um kostendeckend bzw. gewinnbringend zu sein. Ein Hörbuch erscheint idealerweise parallel zum Buch. Gelingt das nicht, wird es später in der Regel keine Hörbuchproduktion mehr geben. In der Medienarbeit und im Verkauf gilt: Das Buch zieht das Hörbuch mit, umgekehrt klappt das nicht.
Sind Lesungen das Pendant zu Konzerten? 
WILDNER: Ja, wobei bei sehr gut verkaufenden AutorInnen der Verdienst durch Lesungen vernachlässigbar ist, als Kommunikationstool einerseits für den Direktkontakt zu den LeserInnen und andererseits für mediale Aufmerksamkeit aber selbstverständlich genutzt wird. Bei Büchern mit kleinen verkauften Auflagen, erhält der Lesungsbetrieb einen wirtschaftlich hohen Stellenwert: Auch wenn man als AutorIn mit schlanken Dreihunderter-Gagen Vorlieb nehmen muss, dabei aber auf eine sinnvolle Lesefrequenz kommt, ist das Live-Einkommen weit höher als der Buchverkauf. Das wird MusikerInnen bekannt vorkommen. Denn wenn man nicht gutes Recorded Music-Geld über zig-millionenfache Streamingabrufe verdient, bleibt der Marktwert im Live-Business entscheidend fürs künstlerische Überleben.
Können sich Bücher ohne begleitende Marketing-Maßnahmen noch verkaufen?
WILDNER: Es ist definitiv schwierig, weil allein im Handelsmarketing Sichtbarkeit gekauft werden muss und daher immer eine finanzielle Ausstattung des Produkts benötigt wird. Da sprechen wir noch lange nicht von einer großflächigen Produktwerbung im öffentlichen Raum, die bei Spitzentitel in Deutschland tatsächlich gebucht wird und Wirkung zeigt. Ein Modell, das kleine Verlage praktizieren (müssen) und das ohne Marketingausgaben auskommt, heißt: Produktqualität und intensive Medienarbeit. Auch diese Vorgehensweise kann fallbezogen zum Erfolg führen. Redaktionelle PR-Arbeit, unterstützt und weiterkommuniziert von sozialen Medien, ist noch immer der billigste und glaubwürdigste Weg zum Publikum.
Im deutschsprachigen Raum gibt es jährlich rund 70.000 Neuerscheinungen (sinkend). Wie können sich Newcomer da durchsetzen?
WILDNER: Mit künstlerischer und personeller Eigenständigkeit und Professionalität, mit Fleiß und der nötigen Portion Glück. Was so viel heißt, dass Karrieren von null auf hundert selten vorkommen, ein stetiger Künstleraufbau über mehrere Bücher aber doch immer wieder gelingt.
Was sind die größten Unterschiede zwischen österreichischen und deutschen Verlagen?
WILDNER: Bei den Indies ist die Situation ähnlich. Ein heimischer Verlag beackert unter viel Selbstausbeutung und den Mitteln aus der Verlagsförderung den österreichischen Markt, und kommt erst über Jahrzehnte harter Arbeit in Deutschland zu einem entsprechenden Team mit Auslieferung und Vertretern sowie einem entsprechenden Standing im Handel, was Erfolge zumindest theoretisch möglich macht. Der deutsche Kleinverlag beackert sein Heimatbundesland und träumt von überregionaler Aufmerksamkeit. Bei den großen Publikumsverlagen ist die Antwort schnell gegeben: In Österreich gibt es keine.
Wann spricht man in Österreich von einem Bestseller?
WILDNER: Landläufig spricht man wohl von einem Bestseller ab ca. 10.000 Stück. Aber auch hier gibt es, wie in der Musik, klare Regeln und Auszeichnungen. Der HVB, Hauptverband des österreichischen Buchhandels, verleiht für 15.000 verkaufte Exemplare das Goldene Buch, für 25.000 Einheiten erfolgt die Auszeichnung in Platin.
Wieviele sehr gut verkaufende AutorInnen gibt es in Österreich?
WILDNER: Vielleicht können 30 bis 40 ausschließlich vom Buchverkauf leben, das hängt natürlich auch von den individuellen Lebenshaltungskosten ab. Eine größere Zahl findet dann das Auskommen direkt in der Literatur- und Medienbranche mit zusätzlichen Lesungshonoraren, Unterricht/Workshops, Drehbuchschreiben und journalistischer Arbeit. Der Großteil der Schreibenden braucht schlicht einen branchenfremden Brotberuf.
Nach welchen Kriterien suchen Sie AutorInnen aus? 
WILDNER: In der Vermittlungsarbeit suche ich nach meinem persönlichen Geschmack aus und nach den Kriterien eines überzeugenden Gesamtpakets. Vermarktbarkeit und Kommunikationsfähigkeit von AutorInnen sind mir wichtig, diese beurteile ich hoch. Weiters ist der kleine Buchmarktkompass in meinem Hinterkopf beim Prüfen von Angeboten gar nicht wegzubekommen: Ein Manuskript, das mich anspricht, aber offensichtlich keinen Platz im Buchmarkt hat, feiere ich für mich persönlich, vertrete es aber nicht. In der Medienarbeit freue ich mich über Bestsellerautoren, denn der Kick und die Freude bei dieser Tätigkeit besteht in großen und zahlreichen Berichterstattungen. Einzelne Aufbauthemen, die ich ganz bewusst entwickle, ergänzen hier mein Portfolio.
Was sind Merkmale eines erfolgversprechenden Manuskriptes?
WILDNER: Gute Genreliteratur (Spannung, Frauenunterhaltung etc.) und profundes Sachbuch fügen auf der Basis eines mehr als soliden Handwerks dem bestehenden Kanon neue, eigenständige Facetten hinzu, auch wenn „nur“ eine Neukompilierung bekannter Inhalte und Schreibweisen stattfindet. Originalität und Markteinschätzung liegen dabei im Auge des Betrachters. In der „Literatur“, der sogenannten Königsdisziplin der Belletristik, regieren in den Lektoraten geschmäcklerische Einschätzungen und momentan der Wunsch nach diversen AutorInnen und Sichtweisen. Der Trend zur Fiktionalisierung historischer Vorlagen ist ungebrochen, viele Verlage sehen dieses Vehikel als einzige Chance, unbekannte Bücher und Newcomer in den Markt zu bringen. Insgesamt darf ein erfolgversprechendes Buch niemals das Todschlagargument der Manuskriptscouts hervorrufen: „Das habe ich alles schon irgendwo einmal gelesen!“
Sie haben in Ihrer Literaturagentur einen Schwerpunkt im Bereich Musik?
WILDNER: Ja, definitiv, Musikbücher sind das Salz in der Suppe meines Arbeitsalltags, und zwar im Bereich Belletristik und Sachbuch. Aktuell hat Herbert Hirschler, 15-fach mit Platin und Gold dekorierter Schlagertexter aus Ternitz seinen Debütroman „Luftgitarrengott“ bei Leykam veröffentlicht. Hier sind brüllend komische Musikbusinessgeschichten inkludiert, viel Humor mit feiner Klinge und die große Emotion. Im ersten Lockdown hat Musiker und Autor Johann Allacher seinen dritten Kriminalroman „Wiener Blues“ (Emons) samt dem selber komponierten Song „Boogie Street“ veröffentlicht, und damit ein Stück Wiener Pop/Rock-Musik-Historie ab den 70er Jahren belletristisch aufgearbeitet. Anria Reicher hat im Aufbau Verlag 2020 ihren Debüt-Thriller „Das Haydn-Pentagramm“ herausgebracht, und dabei fantastische Haydn-Recherche mit einem internationalen Spannungsplot verknüpft. Im Sachbuch vertrete ich mit Freude den Frankfurter Kulturjournalisten und Songerklärer Michael Behrendt, der mit seinen, auf dem WBG-Imprint „Theiss“ erschienenen Büchern über Songmissverständnisse („I don’t like Mondays“) und Songskandale („Provokation! Songs die für Zündstoff sorg(t)en“) viel beachtete Standardwerke geschaffen hat.
Welche Projekte beschäftigen Sie auf der Musikseite?
WILDNER: Ich manage den Wiener Act LIENER, das ist deutschsprachiger Elektro-Pop mit maximal eigenständigem Geschmack für Ohr und Auge. Ex-Sängerknabe Matthias Liener besorgt Text, Musik und alle Instrumente dabei selbst, die Live-Umsetzung ist bereits startklar. Am Institut für Popularmusik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sensibilisiere ich die Studierenden in meinem Musikbusinessunterricht für die Herausforderungen des aktuellen Musikmarktes. Als Geschäftsführer des österreichischen Musikrates sind musikalische Aus- und Fortbildung, Musik aus Österreich in heimischen Medien, die soziale Lage der Kunstschaffenden und die Novellierung des Urheberrechts im Dienst und im Sinne der Musikschaffenden aktuelle Hauptanliegen.
Welche Wünsche haben Sie für/an die Branche?
WILDNER: Mehr Mut in der Programmarbeit, mehr Innovation in der Vermarktung und die gegenseitige Wertschätzung und Belohnung dieser Tugenden innerhalb der Literaturbranche. Daneben sollten Buchmenschen ihre Stärken und Traditionen verschwenderisch pflegen – diesen Auftrag und die Strahlkraft des Erbes gibt es wohl nirgends so stark wie in der Welt der Bücher.

https://www.literaturagentur.at/

 

 

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