Ö1: „Reparatur der Zukunft“

Seit Oktober 19’ ist Martin Bernhofer, Leiter der Ö1 Abteilung „Wissenschaft, Bildung, Gesellschaft“ Chef des Kultursenders. Welche Schwerpunkte der studierte Theaterwissenschaftler und leidenschaftliche Radiomensch legen wird, erklärt er zum Start des Jahresschwerpunkts „Reperatur der Zukunft“  im FSM-Interview.

Sieht man den Ö1-Film ‚gehört gesehen‘ entsteht der Eindruck, dass der Chef hauptsächlich mit Zahlen, Einsparungen und Administration zu tun hat. Was war für Sie die Herausforderung, Ö1-Channel Manager zu werden?
MARTIN BERNHOFER: Bei mir waren es die positiven Aspekte. Ich kenne alle unsere MitarbeiterInnen schon so lange, daher weiß ich um das Potenzial. Mein Fokus liegt auf der Zukunftsfähigkeit des Senders und in diesem Bereich haben wir schon einige Projekte initiiert, die heuer starten.

Zum Beispiel?
BERNHOFER: Wir legen heuer einen Fokus auf die Jugend mit unserem Ganzjahresschwerpunkt „Reparatur der Zukunft“. Im Mittelpunkt stehen die Zukunftshoffnungen und -sorgen einer jüngeren Generation vor dem Hintergrund der großen Themen Klimawandel und digitale Transformation. Wie geht die Generation der 20- bis 30-Jährigen damit um, welche Ideen und Ansätze gibt es und wie kann man diese in die Praxis umsetzen. Wir wollen die Leute in den Vordergrund rücken, die mit ihren Projekten etwas in die Hand nehmen und nicht dystopisch in die Zukunft blicken, Utopien aufzeigen, die in der Praxis umgesetzt werden können. In dieser Generation passiert sehr viel und der Themenradius ist weit gesteckt. Das geht von Dialoginitiativen bis zu Start-ups, von Forschung, Landwirtschaft, Handwerk bis zu politischem Engagement. Überall da, wo junge Leute zusammenkommen, um Zukunft neu zu denken und dementsprechend zu agieren, will Ö1 dabei sein, um diesen Transformationsprozess zu begleiten und zu unterstützen.

Wie passiert die Auswahl?
BERNHOFER: Bei „Reparatur der Zukunft“ werden nicht nur wir hinausgehen, sondern wir laden dazu ein, sich aktiv bei uns zu melden. Auf https://oe1.orf.at/zukunft schreiben wir einen Call aus, die TeilnehmerInnen haben die Möglichkeit, sich medial zu präsentieren. Es soll dabei ein Projektpool entstehen, aus dem einerseits neue Radiobeiträge generiert werden – open innovation, denn auch wir werden dabei lernen -, andererseits bieten wir den Initiativen Möglichkeiten, sich untereinander zu vernetzen. Die Einreichphase läuft bis Anfang Mai, dann wird eine Jury jene Projekte bewerten, die besonders zukunftsfähig sind und eine Chance bekommen sollen, umgesetzt bzw. durch Mentoring gefördert zu werden.

Stehen dahinter auch wirtschaftliche Interessen wie bei diversen Fernsehformaten, wo junge Start-ups um die finanzielle Unterstützung seitens Industrieller buhlen?
BERNHOFER: Nein. Uns geht es um einen ideellen Wert, es geht um gesellschaftliches Engagement, um Engagement für die Umwelt, um die Transformation in eine solidarischere, zukunftsorientierte Gesellschaft.

Unvermeidlich muss ich die Frage stellen, ob Sie damit nicht zu sehr in den FM4-Kosmos eintauchen?
BERNHOFER: Das tun wir nicht, wir werden kein Jugendsender. Mit unserem Schwestersender FM4 sind wir im besten Einvernehmen, da es unser Ziel ist, die verschiedenen Zielgruppen miteinander zu verbinden. Wir sehen „Reparatur der Zukunft“ als Generationenprojekt. Wir wissen, dass sich unser Stammpublikum sehr für Themen der Jüngeren interessiert, die Generation «Klimawandel» stellt jetzt Fragen sehr laut, sehr aktiv, die die gesamte Gesellschaft betreffen und zwar die nächsten Jahre über. Es geht nicht um Anliegen der Zukunft, sondern darum, dass die Zukunft immer näher an das Jetzt heranrückt. Wir wissen, dass wir die Probleme nicht mit den gleichen Methoden, die sich als schadhaft in vielerlei Bereichen herausgestellt haben, lösen können und daher müssen wir gemeinsam neue Ansätze und Fragestellungen finden.

Jüngere Generationen tauschen sich über diverse soziale Plattformen aus, kann da ein Radiosender wie Ö1 mithalten?
BERNHOFER: Wir gestalten unsere Rolle als traditionelles Medium sehr innovativ, das hängt mit unserer thematischen Kompetenz zusammen, denn Zukunftsthemen haben bei Ö1 immer schon eine große Rolle gespielt. Aufgrund von Befragungen und Fokusgruppen haben wir erkannt, dass die Themen, die Ö1 in seinen verschiedenen Sendeformaten anbietet, für dieses junge Publikum sehr interessant sind, aber dass sie uns noch nicht in diesem Ausmaß kennen und hören, wie es den aktuellen Inhalten entsprechen würde.
Wir wollen diesen Schwerpunkt im Sinne eines konstruktiven Journalismus angehen, nicht nur darüber berichten, sondern auch zeigen, wie es möglich ist, gestalterisch einzugreifen, nicht nur mit der Brille in die Zukunft schauen, sondern den Reparaturkasten auch auszupacken und nachzufragen, was kann ich jetzt schon tun.

Wie zeigen sich die innovativen Ansätze beim Sender selbst?
BERNHOFER: Wir gehen thematisch im Sinne der Vernetzung hinaus, wir wollen das Thema Podcast stärker und innovativer platzieren, weil wir wissen, dass Podcasts gerade bei der jüngeren Generation ein sehr beliebtes Audiomedium sind und über diesen Weg Leute wieder zum Radio zurückgeführt bzw. hingeführt werden können.
Wir sehen die derzeit zweite Welle des großen Interesses an Podcasts nicht als Konkurrenz, sondern eher als Unterstützung. Wir wollen auch auf diesem Feld sehr aktiv sein und unsere bestehenden Podcasts weiterentwickeln, innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen – und in der Hoffnung auf neue, bessere – auch eine neue Podcast-Strategie entwickeln, um auf die Hörgewohnheiten der jüngeren Generation einzugehen und diese in die Gestaltung einfließen zu lassen.

Wie hören die Jungen?
BERNHOFER: Wir wissen, dass sie speziell an Themen wie Zukunft, Wissenschaft, Gesundheit oder digitalen Technologien interessiert sind. Zu diesen Themen haben wir im Sender großes Know-how. Unsere Aufgabe ist es nun, neue Erzählweisen zu kreieren, neue Dramaturgien stärker in den Vordergrund bringen, damit wir auch die digital Natives beim Thema halten können. Das Audioerleben, egal in welcher Form, schafft gerade in einer multimedialen Welt, die viele von uns – auch die Jüngeren – oft als stressig empfinden, ein Angebot zur Konzentration: auf eine Sendung oder einen Podcast, auf klaren, stringenten Inhalt. Ein Angebot, das in Zukunft sicherlich noch attraktiver werden wird. Ich bin sehr optimistisch, was die Zukunft der Hörmediums Radio betrifft.

Sie legen als „Festspielsender“ auch viel Wert auf direktem Kontakt mit den HörerInnen. Wo wollen Sie die jüngere Generation erreichen?
BERNHOFER: Wir reisen quer durch das Land und nehmen große, kleine, urbane und regionale Veranstaltungen wahr, beteiligen uns aktiv an der Kulturförderung, und das wird sowohl vom Publikum als auch von den jeweiligen Kulturpartnern sehr geschätzt. Aus dieser Erfahrung haben wir nun auch einen eigenen Ö1-Club namens „Intro“ für unter 30-Jährige entwickelt, der als Türöffner für einen neuen Zugang zu vielen Sparten der Kultur gedacht ist. Das dazugehörige Plakatmotto lautet „Ö1 intro – der Kultüröffner“ und damit liegen wir auf einer Linie mit unseren Kulturpartnern, deren Anliegen es ebenfalls ist, jüngere Generationen für ihre Angebote zu interessieren. Nicht im Sinne eines paternalistischen ‚Heranführens‘, sondern wirklich als Türöffner.
Wir begreifen uns als Kultursender und auch der muss sich erneuern, um wach zu bleiben Türen und Fenster weit öffnen. Wir verstehen Kultur in einem sehr umfassenden Sinne, nicht nur etablierte Institutionen sind damit gemeint, sondern wir versuchen die verschiedenen Kategorien von Kunst und Kultur in ein neues, dieser Generation vertrautes multimediales Spektrum zu bringen und im besten Falle auch generationenübergreifend mit den bisherigen «Ö1 Clubmitgliedern» zu verbinden.

Ihre Anliegen betreffen die gesamte Gesellschaft, gehört werden sie aber nur von ca. 10 Prozent, ist das frustrierend?
BERNHOFER: Eine tägliche Reichweite von mehr als 700.000 HörerInnen hat für die Themen, die wir behandeln, schon einen großen Impact im Sinne eines Qualitätsradios und wir können mit Stolz darauf verweisen, dass wir aufgrund der wöchentlichen Reichweite das erfolgreichste Kulturradio Europas sind. Mehr kann immer sein, aber wir wollen unsere Qualität vor allem auch für die Zukunft sichern. Wir wollen das an Kultur und Innovationen, aber auch an konstruktiven Transformationsprozessen interessierte Publikum erreichen. Es geht um die Qualität einer Wirkung und die hat bei Ö1 einen sehr hohen Impact.

Sie haben sich in Ihren bisherigen Arbeiten schon intensiv mit der Zukunft beschäftigt, was wird sie uns bringen?
BERNHOFER: Ein starkes Zukunftsthema und auch ein von mir persönlich vorangetriebenes ist das Stichwort Interdisziplinarität, wir wollen dieses Thema noch sicht- und hörbarer zum Ausdruck bringen, denn ich bin überzeugt, dass die großen Themen, um die es geht, nur interdisziplinär anzugehen sind.
Ich bin kein Zukunftsprognostiker, aber ich sehe, dass wir in einer zunehmend medialisierten Gesellschaft leben (werden) und dass die Rolle von Ö1 eine ganz wichtige ist und wir daher auch große Verantwortung haben, diese Prozesse nicht nur abzubilden, sondern reflexiv und partizipativ mitzugestalten. Wie kann man eine digital transformierte Gesellschaft so einrichten, dass das humane Profil dieser Transformation nicht verloren geht? „Reparatur der Zukunft“ zielt genau in diese Richtung: Wir bieten eine Plattform für neue Dialoge. Die Zukunft steht ja nicht fest, man kann sie gestalten und für diesen partizipativen Prozess bietet Ö1 sehr gute Grundlagen. Denn man braucht fundiertes, gesichertes Wissen, aber auch die Möglichkeit am Dialog teilzunehmen und diesen in die Gesellschaft zu tragen und darin sehe ich eine ganz wesentliche Aufgabe. Es ist eine reizvolle Aufgabe mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten.