Zelt, Schlafsack, Doppler und Klopapier war einmal …

Ewald Tatar, Geschäftsführer Barracuda Holding (Foto:PrinzSCHNAPPENat)

Vor 15 Jahren waren die „Pannonia Fields“ kein Begriff, mittlerweile gehört das dort stattfindende Nova Rock zu einem der größten Festivals Europa. Was es beim heurigen Jubiläum Neues gibt, erklärt ein noch entspannter Ewald Tatar, Geschäftsführer der Veranstaltergruppe Barracuda Holding.

Wird es ein Rekordfestivalsommer werden?
EWALD TATAR: Wenn man das wüsste, würden wahrscheinlich mehr Leute das Veranstalterbusiness überleben, das ist immer ein Risikogeschäft, da man trotz Erfahrung und bester Vorbereitung immer auch Unwägbarkeiten einkalkulieren muss. Aber grundsätzlich ist der heurige Sommer von einer großen Dichte an Stadionshows geprägt, ich kann mich nicht erinnern dass es acht so gut wie ausverkaufte Shows in so kurzer Zeit in Österreich gegeben hat.
Woran liegt es, dass „Rockdinosaurier“ (Phil Collins, Elton John, Rammstein) noch immer so eine Anziehungskraft ausüben?
TATAR: Ich würde eine Pink oder Ed Sheeran, die ebenfalls Stadionkonzerte geben, nicht als Dinosaurier bezeichnen, aber klar ist, dass sich manche der heuer auftretenden Musiker rar machen und wenn sie dann kommen, wollen sie viele Leute sehen. Das sind in der Mehrzahl Künstler, die ein sehr breites Publikum ansprechen, sonst könnten sie ja nicht Stadion mit 40.000 BesucherInnen füllen.
Man geht wegen der Atmosphäre, der Show, egal ob das Schlager oder Rock ist?
TATAR: Das musikalische Splitting entfällt bei Stadiongeschichten sicherlich mehr, da spielen auch andere Faktoren eine Rolle und nebstbei sind die genannten Genres schon ganz in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Man hört die Stones genauso wie Helene Fischer, die Abgrenzungen verwischen sich sehr stark.
An die hohen Ticketpreise scheinen sich die Musikfans schon gewöhnt zu haben, es gibt kaum noch Klagen?
TATAR: 80 Euro ist mittlerweile normal, unter 100 Euro ist man im Stadium kaum mehr dabei, wobei die Preisentwicklung in den letzten Jahren rapide in die Höhe gegangen ist. Selbiges gilt für die Gagen, es ist ein Spiel und Gegenspiel, man schiebt sich die Kugel zu und schaut, wie weit man mit den Ticketpreisen gehen kann, denn die müssen letztendlich für die Zuschauer vertretbar sein.
Bei aufwändigen Shows lasse ich mir das einreden, aber wenn bei Hiphoppern nach 30 Minuten Schluss ist, fühlt man sich gefrotzelt?
TATAR: Das ist der Vorteil der arrivierten Musiker, die haben ein großes Repertoire! Es ist richtig, dass der Aufwand heutzutage immens ist. Wenn man bedenkt, dass die Mutter aller Festivals – Woodstock – damals nur eine kleine Bühne zur Verfügung hatte und meiner Einschätzung nach ca. 150.000 davor standen, fragt man sich, was die gesehen oder gehört haben. Es gab damals noch keine Vidiwalls, Delay-Towers u.ä., was heute bei jedem Konzert unumgänglich ist und trotzdem hat Woodstock die Existenz von Open Air Konzerten begründet.
Das von Ihnen initiierte Nova Rock gibt es zwar „erst“ 15 Jahre, was hat sich in den Jahren geändert bzw. sagen Sie uns ein paar Fakten zum Festival?
TATAR: Wir erwarten heuer wieder einen Rekord, 2017 waren mit 225.000 bisher die meisten Besucher, wäre schön, wenn wir das wieder erreichen könnten. Weil wir vorher über Ticketpreise sprachen, heuer werden ca 30-35 % der Besucher aus Deutschland kommen, nicht nur aufgrund der günstigeren Preise sondern auch deswegen, weil erstmalig in der deutschsprachigen Festival-Historie  Die Ärzte  und  Die Toten Hosen  auf einem Festival auftreten werden. Während des Festivals arbeiten an die 3.000 Leute vor Ort, da ist aber Gastro, Feuerwehr etc. inkludiert, unter dem Jahr sind wir in der Barracuda Holding ca. 30 MitarbeiterInnen. Die Rädchen, die wir drehen, sind vielfach für das Publikum nicht ersichtlich, weil sie hinter den Kulissen passieren. Als Innovation wird es heuer am Nova Rock ua. ein Grrrls Camp geben, es gab bis dato zwar noch keine gravierenden Vorfälle, aber wir wollen den Dingen entgegen gehen und in diesem reinen Frauenareal kann sich niemand belästigt fühlen. Interessanterweise haben wir das viel größer konzipiert, bis dato gibt es nur ca. 300 Anmeldungen. Entscheidend für die Beliebtheit des Nov Rock ist aber die Bandbreite und Ausgewogenheit des Line-Up, die das Festival zu einem tollen Erlebnis für alle werden lässt.
Was waren die größten Veränderungen im Festivalbereich insgesamt?
TATAR: Jeder, der das Geschäft beobachtet, sieht, wie es sich verändert hat. Als ich selbst 1980 das erste Mal auf einem Festival in Wiesen war, ist man mit einem Zelt, Schlafsack, Doppler und Klopapier hingefahren und das wars. Es gab keine Sanitäranlagen, man hat nicht mal eine Zahnbürste gebraucht, da es eh kein Wasser gab. Wenn man sich heute unsere Festivals anschaut, kann man dort richtiges Glamping mit Kühlschrank, Bett und Frühstück genießen. Die junge Generation erwartet diesen Komfort, da sie damit aufgewachsen ist.
Im Nova Rock steht die Musikrichtung schon im Namen, wo sehen Sie generell die musikalischen Trends?
TATAR: Schaut man sich die Charts an, ist es eindeutig Deutsch-Hiphop. Jede Woche kommt einer mit einer neuen Single raus, die durch Streaming verursachte Schnelllebigkeit im Musikgeschäft hat eine Geschwindigkeit erreicht, die kaum zu überblicken ist. Das gilt auch für uns als Veranstalter: es wundert mich manchmal noch immer ,wie aufgrund von sozialen Medien Konzerte von teils unbekannten Acts in kürzester Zeit ausverkauft sind. WIe viele sich halten werden, ist ungewiss, ein klug agierender Musiker wie Raf Camora nutzt jetzt seine Popularität aus, wird sich aber in zwei Jahren sicherlich aufs reine Produzieren verlegen. Ein Händchen dafür hat er erwiesenermaßen. Vor 5 Jahren hätte ich nie gedacht, dass Deutsch-Hiphop so einen Sog erzeugt, damals war EDM (Electronic Dance Music) das Maß aller Dinge, EDM-Festivals schossen wie Schwammerln aus dem Boden und jetzt versuchen sich diese Musiker wieder an die coolen Hiphopper anzuschließen, das vermischt sich alles. Dazu kommt, dass die Musikfans immer jünger werden, wenn Volksschulkinder Camora-Songs singen, ist das für die 15-17jährigen nicht mehr cool, die suchen sich das nächste Ding, aber im Moment kann niemand sagen, was das ist.
Eine deutlich ältere Zielgruppe besucht das seit heuer benamste „Groove Quake“ (ehemals Nova Jazz), wie zufrieden sind Sie damit?
TATAR: Das habe ich mir leichter vorgestellt, es ist doch schwierig, so ein urbanes Line-Up am Land durchzuziehen, wobei die Location im Schloss Eisenstadt wunderschön ist und die Nähe zu Wien gegeben. Letztes Jahr hatten wir mit Parov Stelar einen zugkräftigen Headliner, wird sich weisen, ob es heuer wieder so voll wird.
Es gab jahrelang hitzig geführte Diskussionen, dass österreichische Bands zu wenig präsent auf Festivals sind, wie hat sich das geändert?
TATAR: Das hat so nie gestimmt, ich habe sicher ein paar 100 Bands veranstaltet, die waren aber noch nicht so weit, dass sie als Hauptact auftreten konnten. Das ist jetzt anders: Bilderbuch 2x vor Schloss Schönbrunn, Wanda als Headliner unzähliger Festivals detto Seiler & Speer sind Beispiele dafür, dass sie alle ihre eigene Identität, ihren eigenen Charakter, ihren persönlichen Stil haben, der die Menschen anspricht und sie somit erfolgreich macht.
Gehen Sie nach so vielen Jahren im Musikbiz noch gerne auf Konzerte?
TATAR: Also September ist für mich nach den anstrengenden Monaten davor meist die Zeit, in der ich keine Musik hören möchte, aber spätestens nach 3 Wochen fängt es wieder an zu kribbeln.
15 Jahre Nova Rock
13.-16. Juni, Nickelsdorf, mit uva Slayer, Slipknot, The Cure, Folkshilfe, Kalkbrenner, Die toten Hosen, Die Ärzte