5/8erl in Ehr’n: Die Zeit anhalten

Kein Moped, sondern die Zeit wird von 5/8erl in Ehr’n (Foto: Astrid Knie) angehalten

0,000000001 sec = 1 Nanosekunde0
000000000001 sec = 1 Picosekunde

Was in der Videopremiere von „Schau wo wir jetzt sind“ in 3 Minuten und 48 Sekunden gezeigt wird, dauert in echt 427 Nanosekunden. Dieses Video, das 5/8erl in Ehr’n gemeinsam mit dem Kunst- & Wissenschaftsprojekt SEEC Photography produziert haben, ist 500millionenfach verlangsamt. Man kann auch sagen: Es ist die ärgste Zeitlupe der Kunstgeschichte.
Während andere im Kampf der Aufmerksamkeitsökonomie aufwendigste Musikvideos im freien Fall oder unter sonstigen Extremeinsätzen drehen, stellen 5/8erl in Ehr’n diesem Trend maßlos dezent eine andere Art von Superlativ entgegen: In Kooperation mit SEEC entschleunigen sie in ihrer Aufnahme die Zeit, damit wir Licht in seiner Geschwindigkeit von fast 300 Millionen Meter pro Sekunde beobachten, mit ihm mitfliegen und über die Band wandern können. Wer – ohne Vorwissen und Vorahnung – das Video von „Schau wo wir jetzt sind“ betrachtet, wird zuerst nichts Besonderes vermuten. Erst mit der Zeit beschleicht einen das Gefühl: Irgendetwas stimmt hier nicht. Zu tun hat das mit einem Laser, der Picosekunden kurze Lichtpulse abfeuert, einer Spezialkamera, die Verschlusszeiten von 0,2 Nanosekunden bewerkstelligt, und ein paar Schutzbrillen, damit die Band keine Netzhautverbrennungen davonzieht.
Es ist High-Tech aus den Physiklaboren von Thomas Juffmann(Univ. Wien) und Philipp Haslinger(TU Wien), die hier zum Einsatz gekommen ist.„Sobald eine neue Technologie entsteht, macht sie sich die Kunst zu eigen“, sagt Philipp Haslinger, „Wir haben jeden Tag mit diesen Lasern zu tun, wir sehen sie aber nie! Diese Technologie kommt in der Krebsforschung oder bei der Entwicklung selbstfahrender Autos zum Einsatz. Gemeinsam mit der Künstlerin Enar de Dios Rodriguez haben wir uns gefragt: Welche Art von Fotos und Videos können wir mit diesem Equipment erzeugen, die es vorher noch nie gegeben hat?“
Betrachtet man mit diesem Wissen das Musikvideo von „Schau wo wir jetzt sind“, erkennt man den besonderen Verlauf des Lichtpulses, wie er zuerst auf das trifft, was sich vorne im Raum befindet, zum Beispiel die Nasenspitze, dann in Lichtgeschwindigkeit über Kopf und Schulter wandert, während der Rest schon wieder im Dunkel verschwunden ist. Zuletzt trifft er auf die Wand, breitet sich kugelförmig aus und zeichnet dadurch die Schattenbilder der Band und ihrer Instrumente.
„Schau wo wir jetzt sind“ war die erste künstlerische Kooperation, wo Text und Song gezielt auf die Technologie hin geschrieben und von ihr inspiriert worden sind“, erklärt Musiker Clemens Wenger, „Diese Aufnahmen spiegeln auch unseren Musikstil, sind reduziert, essentiell, schaffen ein poetisches Abbild.“
Schau wo wir jetzt sind ist der letzte Song am aktuellen Album „YEAH YEAH YEAH“, einer, um aus dem Körper zu fahren und sich und die Welt von oben zu betrachten: Schau wo wir jetzt sind. (Kristin Gruber)