Du bist dir selbst verpflichtet

Als man noch mit dem Zug nach Moskau fuhr, hat heute in Zeiten von terranem Reisen auch keinen Erinnerungswert mehr, aber Johanna Wurzinger beschreibt in ihrem Debütroman eine solche höchst authentisch. Nachdem sie selbst in St. Petersburg studierte, ist ihr die russische Seele nicht fremd, die in der Geschichte von der Großmutter Baba Nadja verkörpert wird. Aber auch die andere Großmutter weckt Erinnerungen an eine wunderbare, freie Kindheit am Lande, wo man den ganzen Sommer über barfuss lief und es kein Animationsprogramm gab, sondern man die Welt am besten mit der besten Freundin entdeckte.

Wurzinger rollt die Geschichte von Viktor und Patrizia geschickt von hinten auf, erzählt aus der jeweiligen Perspektive, hat ihre Figuren in die Unangepassten und die Karrieristen eingeteilt und lässt eine Zeit hochleben, in der es um Geld für Bier und Spaß ging, nicht wie heute wo „Spaß als wichtigstes Statussymbol von New Work gilt , doch ein tödlicher Ernst hatte sich eingeschlichen in die Arbeit, die weniger Lebensunterhalt als vielmehr Lebensinhalt sein sollte.
Viktor ist am Ende seines Studiums, arbeitet für einen kleinen Verlag und lebt mit Elisabeth zusammen. Er könnte glücklich über seine tolerante, kluge Freundin sein, doch irgendetwas verdrießt ihn immer. Er beginnt aus Witz heraus einen zynischen Ratgeber zu schreiben, der jedoch von der wie man heutzutage sagt „Schwurblerszene“ für bare Münze genommen wird und Viktor zwar dadurch reich macht, aber gleichzeitig, seinen Glauben an die Intelligenz von Menschen schwinden lässt. Und auch Elisabeth verzweifelt an seinem Grant und Pessimismus.
Auf der anderen Seite haben wir die besten Freundinnen Patrizia und Irene, seit Kindheit an ein Herz und eine Seele, die aufbegehren, sich nichts vorschreiben lassen und trotzig ihren eigenen Weg gehen. Irene, eine Spur ehrgeiziger, während Patrizia lange ihr Studentenleben weiterführt, bis sie merkt, dass sie im Callcenter die Älteste ist.
Mehr soll nicht verraten werden, aber es liest sich sehr flüssig und logisch und obwohl die beiden Hauptpersonen von vornherein keine Sympathieträger sind, werden einem im Laufe der Geschichte ihre Positionen immer klarer, sie haben beide Recht auf ihrem kompromisslosen Weg. Und doch steckt Zweifel dahinter, wenn man sich angegriffen fühlt: „Wie schafften es diese Leute immer, dass ihre Normen galten, ihre Wertvorstellungen?“
Der Schluss ist vielleicht gar ein bisschen künstlich, aber warum darf es immer nur in Filmen ein Happyend geben? Es ist eine richtig aus dem Leben gegriffene Entwicklungsgeschichte, in der viel Aktuelles diskutiert wird und die die Autorin als neues, österreichisches Erzähltalent ausweist.

Johanna Wurzinger: Und das Universum schweigt (Ester & Salis) Euro 25,-