Einfach und schwer in einem!

Wer Yoga macht oder Meditationen betreibt weiß, dass es darum geht, den Geist zu beruhigen, sei es mithilfe von Übungen oder Atmen. Man will lernen,  sich zu fokussieren, seine Gedanken zu beobachten und irgendwann im Nirwana zu landen.
Emmanuel Carrère, der seit Jahren täglich Yoga praktiziert, macht sich offenbar einen Spaß daraus, ein Buch, das mit Yoga betitelt ist, in alle Richtungen laufen zu lassen. Um es gleich vorweg zu nehmen: das ist das Beste, das dieser Geschichte passieren konnte.
Alles beginnt gut: Emmanuel Carrère erfreut sich eines gelungenen Lebens und plant ein feinsinniges Büchlein über Yoga. Heiter und sachkundig will er seine Erkenntnisse über die »inneren Kampfkünste« darlegen, die er er seit einem Vierteljahrhundert praktiziert. Bei seinen Recherchen in einem Meditationszentrum läuftt noch alles bestens, doch dann wird er eingeholt: vom Tod eines Freundes beim Anschlag auf Charlie Hebdo, von unkontrollierbarer Leidenschaft , Trennung und Verzweiflung. Sein Leben kippt, eine bipolare Störung wird diagnostiziert und Carrère verbringt vier quälende Monate in der Psychiatrie, wo er versucht, seinen Geist mit Gedichten an die Leine zu legen. Entlassen und verlassen lernt er auf Leros in einer Gruppe minderjähriger Geflüchteter ganz anders Haltlose kennen, aber findet auch Trost durch Musik und Gespräch. Zurück in Paris stirbt sein langjähriger Verleger, und doch gibt es am Ende auch wieder Licht.
Carrère, dessen Bücher in Frankreich sich in den Hunderttausender verkaufter Auflagen bewegen, schreibt komplett ohne Tabus, scheut auch vor drastischen Vergleichen nicht, schafft es mittels kleiner Sequenzen einen Bogen von Yoga-Retreats über politische Ereignisse bis hin zu seiner Liebe zu Literatur und Musik (Tipp: Martha Argerich: Polonaise héroïque) zu spannen. Wenn man nun beim Atmen bleiben will: ja, dieses Buch liest man fast in einem Zug, geradezu atemlos!
Emmanuel Carrère: Yoga (Matthes & Seitz) Euro 25,-