„Ihr Sohn hat einen guten Humor!

Und wieder einmal liest man fast ungläubig die Erinnerungen des deutschen Autors Gerhard Henschel, der mit seiner 8 Bände umfassenden „Martin Schlosser-Chronologie“ quasi die Jahre 1962-2018 aufarbeitet. Altersgenossen werden so vieles wiedererkennen: den Mief vergangener Zeiten, Schläge als Erziehungsmaßnahmen, schwarze Pädagogik, erste Urlaubsreisen mit Autos, Socken als Weihnachtsgeschenke, unbeugsame LehrerInnen, Mädchen die Eva, Gabriele oder Renate heißen, aber auch viel Freiheit, Natur und Abenteuerlust.
In dieser Urfassung seines erstmals 2004 erschienen „Kindheitsroman“ erzählt das Kind Martin aus seinem Leben, vom Sandkasten bis zur Pubertät, von den ersten Liebesperlen im Hinterhof bis zum Wunschtraum, der neue Eddy Merckx zu werden, der neue Mark Spitz, der neue Gerd Müller oder am besten alles auf einmal – aber vieles kommt anders als geplant. Henschel ist so detailgetreu, dass sogar der österreichische Fußballer Bimbo Binder eine Erwähnung findet! Würde man einen Film aus dieser Zeit drehen wollen, wäre dieses Buch für jede/n FilmausstatterIn ein absolutes Muss: jedes Einzelteil wird richtig benamst, von der Atrix-Glyzerin-Handcreme bis zu den Büchern wie „Der Spion der aus der Kälte kam“ oder „Bonjour Tristesse“. Dazu kommt, dass er genau im Tonfall und Sprachduktus dieser Jahre schreibt, als man Worte wie picheln, Topflappen, Sabbeltasche, Hobbyraum etc. verwendete und für frauenfeindliche Witze vom Doktor für seinen Humor gelobt wird!
Martin ist ein freches, ungehorsames Kind und bringt seine Mutter oft zur Verzweiflung, aber man muss so viel über seine Weltsicht schmunzeln, dass man nicht will, dass er mit seinen Streichen aufhört. Und was aus ihm geworden ist, wissen die Henschel-Fans soundso. Grund auch wieder in die weiteren Martin Schlosser-Bände reinzulesen oder für Neulinge, genau damit anzufangen.
Gerhard Henschel: Kindheitsroman. Die Urfassung (Hoffmann und Campe) Euro 26,-