In der Hitze von Ausschwitz

Genauso wie die Leichtigkeit französischer Spielfilme unübertroffen ist, ist es mit dem dramatisch-literarischen Werk (u.a. Der Gott des Gemetzels) der Autorin Yasmina Reza. Ihr gelingt es, allgemein-gültige Themen in den Alltag so zu integrieren, dass man sich in vielen Personen fast zu erkennen glaubt. In ihrem jetzigen Buch wird Ausschwitz, Krankheit, Tod mit derselben Ernsthaftigkeit bzw. Leichtigkeit verhandelt wie Fastfood, Kindergeburtstage, österreichische Modesünden oder Machismus.

Hauptfiguren sind die Geschwister Popper: Serge, verkrachtes Genie und homme à femmes, Jean, der Vermittler und Ich-Erzähler, und Nana, die verwöhnte Jüngste mit dem unpassenden spanischen Mann. Eine jüdische Familie. Nach dem Tod der Mutter entfremdet man sich immer mehr. Zu ihren Lebzeiten hat keiner die alte Frau nach der Shoah und ihren ungarischen Vorfahren gefragt. Jetzt schlägt Serges Tochter Joséphine einen Besuch in Auschwitz vor. Virtuos hält Reza das Gleichgewicht zwischen Komik und Tragik, wenn bei der touristischen Besichtigung die Temperamente aufeinanderprallen. Das Grauen, das die Erinnerung an das Schicksal der getöteten Juden hervorruft, ist spürbar ebenso wie das Unbehagen der Besucher bzw. das komplette geschichtliche Desinteresse der Selfie-Touristen. Gespannt hört man dem hervorragenden Vorleser Peter Jordan zu, der in dieser Geschichte regelrecht aufgeht. Hinter den messerscharfen Dialogen ist es gerade die existenzielle Hilflosigkeit dieser Menschen, die berührt.
Yasmina Reza: Serge (Hanser). Gelesen von Peter Jordan (Hörbuch Hamburg), Euro 22.-