Wenn im Moment allerorten von KI die rede ist, ist man in diesem Gesellschaftsroman schon weit darüber hinaus. Ganz selbstverständlich kommen einem die computerisierten Pfleger im Krankenhaus vor, Kontakt mit Ärzten gibt es nur via Bildschirm und wenn dann doch gestorben wird, kullert den Robotern mit den riesigen Mangaaugen eventuell eine Träne über die eisernen Wange.
Aber da sind wir ja schon fast am Ende dieses wuchtigen Romans, der in den 1980-er Jahren beginnt, als die Hauptperson Bastian tragischerweise Vollwaise wird und von seinem gebildeten Großvater erzogen wird. Abgeschottet und behütet lernt der kleine Bub erst relativ spät die „Segnungen“ dieser Jahre mit: viel Fernsehkonsum, Magnum-Eis und Lichterketten gegen Rechts. Mit seinen beiden Freunden, die ebenfalls eher Außenseiter sind, Ilie und Matilda verbindet ihn eine lebenslange Freundschaft, die zwar einige Wellentäler durchschreiten muss, letztendlich aber funktioniert.
Als Erwachsener arbeitet Bastian beim Fernsehen und das gibt dem Autor die Möglichkeit uns ein wenig in das Innere von Produktionen schauen zu lassen. So wie er das beschreibt, sicherlich kein Traumberuf. Bastian arbeitet an Frank Elstner- Avataren bzw. an einer Gutmenschen-App, die Mutter Teresa u.ä. als Ausgangspositionen nimmt. Und obwohl er von Berufswegen mit künstlicher Intelligenz zu tun hat, schreibt er: „Brigitte gehörte wie ich zu jener möglicherweise letzten Generation, die alles, was ihr wirklich wichtig und privater Natur war, schriftlich erledigte. Schrift bedeutet privat.“
Parallel zur kompletten Umgestaltung der Außenwelt, fängt auch das Verhältnis zum einzigen Sohn des Paares Bastian & Brigitte zu bröckeln an, denn dieser wirft den Eltern vor, zuwenig für die Gesellschaft zu machen.
In seinem neuen Roman blickt Thomas von Steinaecker aus einer nahen Zukunft zurück auf unsere Gegenwart und zeigt, wie das Leben an uns vorbeirauscht, während wir um uns selbst kreisen.
Thomas von Steinäcker: Die Privilegierten (S. Fischer) Euro 26,-