Was wäre es für ein banales Leben, wenn der Schriftsteller Michael Kleeberg nicht mit mehreren Ebenen (so wie der neue Nobelpreisträger Jan Fosse) arbeiten würde.
Es ist der Abschluss der Trilogie um seine Hauptperson Karlmann Renn, alias Charly, wobei sich jeder Teil als eigenständiger Roman lesen lässt.
Es beginnt mit einer großen Geburtstagsparty zum 60-er, der natürlich Anlass für Rückschau gibt. Ist mein Leben so wie ich es mir gewünscht hatte, wo stehe ich, was kann ich noch erwarten und wer von den Gästen wird sich wie erkenntlich zeigen, denn Charly ist und bleibt ein großer Materialist.
Er ist erfolgreicher Geschäftsführer, Womanizer, derzeit mit Partnerin Nummer 5 zugange, mit seiner Familie nicht sehr vertraut, am ehesten mit seiner Schwester, die aus ähnlichem Holz geschnitten ist und der Mutter seiner Kinder. Man ist Hamburger Mittelschicht (die woanders Oberschicht wäre), hat Schwierigkeiten mit den alten Eltern, mit dem Verfall des Körpers, mit seinen in die Jahre gekommenen Einstellungen und bleibt ergo dessen lieber unter sich.
Charly aber muss sich beruflich nochmals neu orientieren und zwar als Geschäftsführer des Lessinghaus, von seinem Vater gegründet und mehr der Philanthropie denn wirtschaftlichem Erfolg verbunden. Für Charly Neuland! Und in diese Zeit fällt Corona, Ukrainekrieg und #MeToo, ausreichend Minenfelder durch die sich der im Grunde Durchschnittsbürger mal mehr mal weniger geschickt laviert.
Es ist vom Schöpfer Michael Kleeberg natürlich sehr gemein, wie er Charlys‘ Berrufslaufbahn enden lässt, aber eine kleine Schadenfreude wird sich bei den Leserinnen sicherlich breit machen.
Okay, das wäre der Inhalt der erzählerischen Ebene (ohne noch von Gottschalk zu reden), aber das Besondere an diesem Roman ist der leichtfüßige Wechsel von äußeren Gegenheiten zur Introspektion bis hin zur direkten Anrede. Kaum will man sich kurz an den Personenbeschreibungen amüsieren, kommen tiefe Gedanken zu Tod, Wandel der Gesellschaft etc. zugange und auch die unterbricht der Autor, indem er sich persönlich „einmischt“ und uns wieder an den Anfang führt. Klingt komplizierter, stört in keinster Weise den Lesefluss. Und man wird man so vielen, klugen Gedanken belohnt, dass man manchmal vergisst, was für ein egoistischer Mann dieser Charly eigentlich ist.
Und ob man als älterer Mensch das Tempo der Jungen nicht mehr halten kann oder will, bleibt jedem selbst überlassen.
Michael Kleeberg: Dämmerung (Penguin) Euro 26,-
Seine Zeit ist es nicht mehr
