Wer heutzutage Marokko besucht, kann sich kaum vorstellen wie modern dieses Land schon einmal war. Ähnlich wie in Ägypten waren die 1960-1970er Jahre sehr frei, Touristen aus aller Welt, Literaten, Beatnicks, Hippies lebten ihren Traum an den Stränden von Essaouira u.ä. aus, es wurde getrunken, gefeiert und es gab nur wenig Beschränkungen. Bis es dem Autokraten zuviel wurde…
Die in Paris lebende, gebürtige Marokkanerin Leïla Slimani lässt diese Epoche in dem 2. Teil ihrer Familientrilogie wunderbar auferstehen. Gleich vorweg: man muss nicht den ersten Teil kennen, um diese Geschichte rund um die Familie Belhaj nachvollziehen zu können.
Im Sommer 1968 kehrt Aïcha Belhaj nach vier Jahren Medizinstudium in Straßburg nach Marokko zurück. In Frankreich gehen die Studenten auf die Straße, von den Barrikaden tönt der Ruf nach gesellschaftlicher Veränderung. Doch in ihrer Heimat trifft die angehende Ärztin auf eine erstarrte Welt. Die Farm von Aïchas Vater floriert zwar, die Familie allerdings ist zerrissen. Ihr Bruder Selim verschwindet in einer Hippiekommune an der Küste und versinkt im psychodelischen Drogenrausch. Wie soll Aïcha sich behaupten in einem Land, in dem bisher nur Männer Ärzte sind und das von einem autoritären König regiert wird? Am Abend der Mondlandung begegnet sie in einer Strandbar bei Casablanca einem Wirtschaftsstudenten, den alle nur »Karl Marx« nennen. Er ist Teil einer intellektuellen Jugend, die das Land verändern möchte und leider in den Folterzellen des Staates endet. „Es gibt keine größere Gefahr für einen Staat als die vermeintlichen Intellektuellen. Es wäre besser gewesen, ihr wärt alle Analphabeten geblieben“, ist die Devise eines der obersten Folterer.
Trotz der vielen Schwierigkeiten mit denen die handelnden Personen konfrontiert sind, herrscht zuweilen ein heiterer Ton, man spürt richtiggehend die Aufbruchsstimmung und ist gleichzeitig erschüttert, da man ja ahnen kann, wie die Gegenwart sich für viele MarokkanerInnen anfühlt. Außer man fährt nur zum Golfen in dieses trockene, heiße Land, da wird man nicht viel von den äußeren Umständen mitkriegen, für alle anderen Reisenden eine wärmste Empfehlung.
Leïla Slimani: Schaut, wie wir tanzen (Luchterhand). Aus dem Französischen von Amelie Thoma Euro 23,-