Nie von der Spur abgekommen

Auch wenn dieses Buch von John Irving knappe 1100 Seiten hat, kann man nicht sagen, dass er irgendwann von der Spur abgekommen ist. Es werden viele, viele Kurven genommen, aber letztendlich bleibt der Schriftsteller ganz nah an seinen Figuren.
Im Mittelpunkt steht der Erzähler Adam, ganz klar das Alter Ego des Autors, der in einer höchst unkonventionellen Familie aufwächst. Die Frage nach dem Vater bleibt unbeantwortet und auch wenn er es irgendwann erfährt, bleibt es eher unbedeutend. Viel wichtiger sind die ihm umgebenden Personen. Angefangen vom dementen Großvater, der vom Blitz erschlagen wird, die norwegischen Onkeln, die unsympathischen Tanten, Nora die Cousine, die schon früh wusste, dass sie lesbisch war, Em, die mit ihren orgiastischen Freuden ein Haus ins Wanken brachte und natürlich die Mutter Ray, die zwar mit dem Schneeläufer Mr. Barlow (der in der Folge zur Transfrau wird) verheiratet ist, aber mit der Pistenfahrerin Molly zusammenlebt.

So ungewöhnlich die Personen erscheinen, sind sie es, die das Herz am richtigen Fleck tragen und für Adam die liebsten Menschen der Welt sind. Sie könnten als Gegenentwurf einer Gesellschaft angesehen werden, in der Größe, Aussehen, sexuelle Orientierung etc. irrelevant sind und in der die herkömmliche Gesellschaft eher diejenige ist, die schwer zu verstehen ist.
Irving verpackt in diesem Roman viele seiner bekannten Vorlieben wie zB. Österreich (über seine Mutter sagt der Sohn: „Ray mag überhaupt nichts Fremdes, erklärte ich Nora. Abgesehen vom Skifahrern. Ray mag Toni Sailer und Toni Matt und Sepp Rusch und Hannes Schneider – Ausländer, aber Österreicher.“), Wrestling, Schifahren, Sport generell, Literatur und AußenseiterInnen. Auf der anderen Seite übt er manchmal subtil, manchmal ernsthaft besorgt Kritik an seinem Heimatland („Wir dachten, der Krieg in Vietnam würde uns spalten, aber wir waren schon viel gespaltener, als wir ahnten.„), an der Rückschrittlichkeit („Auf derart unverhohlenen Hass auf eine andere sexuelle Minderheit war ich nicht vorbereitet.“) oder an Sport, der ihm nicht so taugt („Golfer: Betuchte Herrn mit Stöcken. Sind das alles Republikaner?„).

Und der Inhalt?

1941 in Aspen, Colorado. Die 18-jährige Rachel tritt bei den Skimeisterschaften an. Eine Medaille gibt es nicht, dafür ist sie schwanger, als sie in ihre Heimat New Hampshire zurückkehrt. Ihr Sohn Adam wächst in einer unkonventionellen Familie auf, die allen Fragen über die bewegte Vergangenheit ausweicht. Jahre später macht er sich deshalb auf die Suche nach Antworten in Aspen. Im Hotel Jerome, in dem er gezeugt wurde, trifft Adam auf einige Geister. Doch werden sie weder die ersten noch die letzten sein, die er sieht.
Ein ganz großes Vergnügen sich in die Fantasiewelt des John Irwins zu begeben.

John Irving: Der letzte Sessellift (Diogenes) Euro 37,-