Darfs ein bisserl mehr sein?

Also dieses Buch muss man in der Hand haben, um auch die äußere Gestaltung zu würdigen. Es beginnt mit einer Landkarte von Österreich, in der all die Orte seitenmäßig verzeichnet sind, die der Autor Markus Köhle in seinem Debütroman lexikalisch beschreibt. Nachdem die Zugfahrten den Erzähler von Wien aus wegschicken, werden zwar auch größere Städte wie Graz angefahren, aber mehr erfährt man über Nester wie Dienten, Nötsch, Arzl, Prutz. Solch eine humoreske, literarische Reisekarte hat wahrscheinlich zuletzt Kyselak verfasst.

„Wien Meidling hat doch die Bezeichnung Bahnhof überhaupt nicht verdient und liegt noch dazu neben einem Friedhof. Wien-Meidling ist mehr U-Station als Bahnhof, mehr Friedhof als blühendes Leben“.

Wer einen realistischen Eindruck vom Zustand Österreichs gewinnen möchte, braucht das Land bloß mit dem Zug zu durchreisen – die freiwillig und halbfreiwillig geführten Gespräche in den Railjets und Speisewägen der Nation geben einen tiefen Einblick in die hiesige Verfasstheit, die zwischen »Fernsehkaisern und Kurzschlusskanzlern « kaum unterscheiden zu können scheint.
Eine solche Tour de force unternimmt der bisher als Slam-Poet bekannte Markus Köhle mit viel Sprachwitz in dem er seinen aufmerksam registrierenden Protagonisten Lukas auf seinen Zugreisen durch die Bundesländer den großen Themen unserer Zeit begegnen lässt: Deutlich zu spüren ist da das »Stadt-Land-Kluft-Schlamassel«, die sture Ignoranz gegenüber der nötigen Veränderung (»die Füße schischuhschwer, aber die Nase immer oben«), ein bestenfalls halbes Bewusstsein von Überalterung und Pflegenotstand und, natürlich, eine große Unlust, sich mit all dem ernsthaft auseinanderzusetzen.
Für Lukas, der als freiberuflicher Texter ein offenes Ohr für die Problematik und sprachliche Wirklichkeit all dessen hat, kommt es aber noch schlimmer: Denn was im Argen liegt, hat auch noch mit ihm persönlich zu tun. Das begreift er spätestens dann, als sich der Bürgermeister seines Tiroler Heimatdorfes meldet, um ihm – gut österreichisch kuhhandelnd – einen Literaturpreis im Tausch gegen eine literarische Lobeshymne auf sein Fleckchen Muttererde zu ›verleihen‹. Da Lukas den Auftrag nicht ausschlagen kann, mischt sich zu den Konversationen im Zugabteil nun noch die mémoire involontaire einer Jugend am Land, mit all ihren Senken und Tiefen, unerfüllter Liebe, Sehnsucht und unentrinnbarer Kleingeistigkeit.
Der Stil erinnert zeitweise an Sven Regener, verarscht sich auch selbst, wenn er eigene Sätze beurteilt wie „das klingt ja wie ein Song von AnnenMayKantereit“, fordert aufgrund der Vielfalt an originellen Personen und detailgetreuen Erinnerungen an die Jugend mit Knacker & Rüscherl zum aufmerksamen Lesen und ist doch so in der Gegenwart verortet. Alleine der Anhang gibt so viel zum Denken und Schmunzeln auf und tja „So sind wir doch“.
Man wird schon einige Male sein Klimaticket ausnützen müssen, um dieses hervorragende Österreichbuch zu Ende zu lesen, aber dafür fährt man gerne nach Tirol und retour.
Markus Köhle: Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts (Sonderzahl) Euro 25,-