Das Verhalten meiner drei Frauen

Der letzte große Roman des viel zu früh verstorbenen Javier Marías

Alleine, dass der Autor Javier Marías an einer durch Covid hervorgerufenen Lungenentzündung im heurigen August knapp vor Erscheinen der deutschen Ausgabe seines fulminanten Romans Tomás Nevinson verstarb, kann die Wut auf Verleugner noch stärken. Was für einen großartigen Schriftsteller hat die literarische Welt viel zu früh verloren! Wenigstens hinterlässt er mit seinen Büchern ein Erbe, das noch lange anhalten wird. Auch in dem vorliegenden Roman holt er den Terrorismus der IRA und ETA vor den Vorhang und gibt damit dessen Opfern eine höchst spannende, nachdenkliche überaus kluge Geschichte.

Eigentlich hat Tomás Nevinson mit dem Geheimdienst abgeschlossen. Doch sein ehemaliger Chef verführt ihn mit einem neuen Auftrag: Nevinson soll in einer spanischen Kleinstadt eine Terroristin aufspüren und beseitigen. Als er mit einer Frau, die als Zielperson in Frage kommt, eine Beziehung eingeht, gerät er in Gewissenskonflikte. Lassen sich Schuld und Unschuld zweifelsfrei erkennen?

Sein Held steht klar auf der Seite der verdächtigen Frauen, je genauer er sie kennenlernt, desto weniger möchte er der Wahrheit ins Auge blicken, nämlich, dass eine von ihnen eine noch immer aktive Terroristin ist. Immer wieder kreisen die Gedanken darum, ob es wert ist, ein Menschenleben für den Erhalt vieler anderer „einzutauschen“? Die Schreckenstaten, die die irischen und baskischen Terroristen für ihren „politischen Kampf“ begingen, töteten viel zu viele unschuldige Menschen, als dass man sie vergessen könnte. Während sich der Lauf der Welt unaufhörlich weiterdreht, bleiben diese Verbrechen doch bestehen.
Diese Grausamkeiten stehen so ganz im Gegensatz zu dem friedlichen Leben, in das Marías seinen Helden eintauchen lässt: in ein nordwestspanisches Städtchen, wo es sehr gemütlich zugeht, wo die Hierarchien klar abgesteckt sind, wo im Sommer die Touristen kommen und dazwischen nicht viel passiert. Idealer Ort also um sich als Terroristin zu verstecken: aber welche der drei Verdächtigen, die Nevinson beschatten muss, ist diejenige?
Wie bei dem anglophilen Marías üblich, ist seine Geschichte gespickt voll mit Shakespeare-Verweisen und Zitaten, grundsätzlich lässt er wahnsinnig viel Wissen einfließen, ohne dass je der Spannungsbogen gestört ist. Würde man nicht wissen wollen, wohin die Entscheidung seiner Hauptperson mündet, könnte man noch ewig weiterlesen.
Wie er selbst im Nachwort schreibt, es gibt sie kaum noch die gebildeten Detektive, denn „durch das Internet muss man nichts mehr selbst gelesen haben, um Zitate oder „Aneignungen“ aufzuspüren“.
Ein ganz großes Lobe gebührt der Übersetzerin Susanne Lange, die eine monumentale Aufgabe bravourös erledigte. Und auch beim Cover ist dem Verlag zu gratulieren, genau so stellt man sich diesen höflichen, zurückhaltenden, gebildeten Agenten vor!

Javier Marías: Tomás (S. Fischer). Aus dem Spanischen von Susanne Lange 32,00 €