Die beste aller Welten?

Das nenne ich einen österreichischen Pageturner, der noch dazu kein Krimi ist. Die junge Tiroler Schriftstellerin Friederike Gösweiner beschreibt eine Familiensituation als wäre sie das älteste Oberhaupt. Wie sie sowohl die Gedankenwelt der 60-jährigen Witwe einfängt als auch das Innenleben der beiden Kinder ist bemerkenswert. Da sitzt jeder Satz, ist jede Gedankenäußerung authentisch und wer sich nicht in der einen oder anderen Situation wiederfindet, ist in keiner österreichischen Familie aufgewachsen.
Am Beginn des Romans steht ein Ende: Hermann stirbt plötzlich und unerwartet. Er hinterlässt seine Frau und zwei erwachsene Kinder. Alle drei trauern – auf je eigene Weise. Die soeben pensionierte Lehrerin Marlene beginnt, Flüchtlingen zu helfen; Sohn Bob, Kosmologe und Zeitforscher, zieht sich ans äußerste Südende Europas in die Natur zurück; und Tochter Filippa, Philosophin in Paris, möchte mehr denn je endlich Mutter werden. Für alle stellt sich die Frage nach einem glücklichen Leben noch einmal neu und dringlicher – während große gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen im Gange sind, die sie skeptisch mitverfolgen.
»So viele Entscheidungen, die damals noch ungetroffen waren, die getroffen werden mussten, damit es sie hier heute gab. Und jede hätte anders ausfallen können und dann wäre sie heute nicht. Aber wie traf man Entscheidungen, dachte Filippa. Wie traf man sie richtig.«
Gösweiner bringt ihren handelnden Personen große Sympathie entgegen, zeigt auf, wie sie versuchen, miteinander gut auszukommen und doch nicht aus ihrer Haut können. Eltern- und Geschwisterkonflikte sind immer unvermeidbar und doch wird Familienleben oft gleichgesetzt mit glücklichem Leben. Und wenn es dann kein gemeinsames Familienhaus mehr gibt, wird der Nachkommenschaft erst bewusst, wie schnell auch die eigene Kindheit vergangen ist.
Friederike Gösweiner: regenbogenweiß (Droschl) Euro 24,-

Lesereise:
14. März 2022, 19:30, Salzburg, Literaturhaus
28. März 2022, 19:00,  Graz, Literaturhaus
29. März 2022, 19:00, Wien, Östereichische Gesellschaft für Literatur
30. März 2022, 19:00, Innsbruck, Literaturhaus am Inn