Die Leute in Philly

Wenn man einmal mit Anne Tyler begonnen hat, wird man nicht mehr aufhören können. Sie ist eine meisterhafte Chronistin unserer Zeit, spezialisiert auf Familienromane, in denen nichts Spektakuläres passiert und doch wechseln Dramen und Freuden einander ab.
Diesmal begleiten wir Familie Garrett im Laufe mehrerer Jahrzehnte. Es beginnt mit einer Zugfahrt der Enkelin Serena, deren Vorhandensein im weiteren Verlauf keine große Rolle spielen wird, mehr Platz braucht es für ihre Mutter Lily, deren ältere Schwester Alice und dem viel jüngeren Bruder David. Über weite Strecken aber dreht sich der Roman um die Ehe der Großeltern Mercy und Robin.
So, das wären einmal die Hauptpersonen, aber wie es halt so üblich ist, kommen dann noch FreundInnen, PartnerInnen und Nachkommenschaft hinzu. Tyler muss sich vor dem Schreiben einen exakten Stammbaum aufgemalt haben, um so nah an ihren Figuren zu bleiben. Außerdem deckt die Geschichte einen Zeitraum von 60 Jahren ab, der insbesondere für Frauen von vielen großen Entwicklungen begleitet wurde. Auch wenn der Stil einlädt, einfach so dahin zu lesen, muss man aufmerksam bleiben, um nicht selbst die Übersicht zu verlieren. Aber weil jedes Familienmitglied so seine Eigenheiten hat, die nach außen hin gar nicht auffallen würden, ist man dann doch immer am Laufenden.
Tyler zeigt, wie wir all die subtilen Äußerungen von Liebe, Enttäuschung, Stolz und Ablehnung unserer Nächsten verinnerlichen. Denn schon das Verhalten eines einzelnen Familienmitglieds kann die familiären Beziehungen über Generationen hinweg prägen. Anne Tyler zeichnet ihre Figuren mit feinem Witz, voller Empathie und so nahe am Leben, dass sich jede und jeder im geschilderten Familienleben wiedererkennt.

Anne Tyler: Eine gemeinsame Sache (Kein & Aber) Aus dem Amerikanischen von Michaela Grabinger. Euro 26,-