Ein viel zu hoher Preis

Ob die Namensähnlichkeit mit der ungleichlich berühmteren Schriftstellerin Arundhati Roy (The God of small Things) den Büchern von Anuradha Roy im Westen einen Turbo verschafft, ist nicht nachgewiesen, nach der Lektüre des vorliegenden Buchs bräuchte sie den gar nicht mehr.

„In meiner Kindheit war ich als der Junge bekannt, dessen Mutter mit einem Engländer durchgebrannt war“, so beginnt die Geschichte von Myshkin und seiner Mutter Gayatri. Es sind die dreißiger Jahre, Indien hadert mit der britischen Kolonialherrschaft. Da kommen zwei Fremde in den kleinen Ort am Himalaya, der deutsche Maler Walter Spies und eine Tänzerin, und Gayatri, die immer Künstlerin sein wollte, ergreift ihre Chance, der traditionellen Ehe zu entfliehen. Ihr Sohn, der Erzähler, kommt zum verabredeten Zeitpunkt zu spät und kann daher nicht mit nach Bali reisen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Während Indien noch in seinen alten Strukturen verhaftet ist, als Kolonialstaat nur Unheil erwartet, lebt man auf der indonesischen Insel in völliger Freiheit, erst bis Nazi-Deutschland über die Holländer auch dort für Unruhen und Folter sorgen. Einer, der diesen tausende Kilometer weit entfernten Krieg mit dem Leben bezahlte, ist in der Geschichte der Maler Spies, dem Roy in ihrer « historical Fiction » ein besonders warmherziges Portrait widmet. Generell gelingt es der Autorin absolut glaubwürdig, Erfundenes mit Realem zu verknüpfen oder leichtfüßig zwischen der Perspektive aus Sohn bzw. Mutter’s Sicht zu wechseln.
Gerade in Zeiten, in denen man nicht reisen darf, können uns Bücher helfen, den Horizont zu erweitern, in vorliegendem Fall wird die indische Kultur in all ihren Eigenheiten so feinsinnig beschrieben, dass man den Genuss einer reifen Mango regelrecht im Mund spürt, die farbenfrohen Sari vor Augen und die Musik in den Ohren hat.
Anuradha Roy: Der Garten meiner Mutter (Luchterhand)