Eine (Un) Schuld, die es nicht gibt

Schreiben, um zu vergessen und dabei sich doch an alles erinnernd, das passiert der älteren Frau, in dieser Geschichte, die alleine in ihrer Wohnung in Rom lebt und sich von der Welt zurückziehen will. Was sie nicht mehr wissen will, enthüllt sich erst spät in dieser spannenden Geschichte, man hat zwar so seine Vermutungen, aber die Autorin Lidia Ravera lässt am Beginn alles noch im Vagen und rückt nur zizerlweise mit Informationen heraus. Ja, so baut man Spannung auf!
Eine Veränderung in dem einsamen Leben von Giovanna, so die Tagebuchschreiberin, passiert als nebenan eine junge Familie einzieht. Die Wände sind dünn, die Eltern Maria und Michele laut, („Sie scheinen fest entschlossen, glücklich zu sein“) die kleine Tochter Malvina erobert das Herz der Nachbarin im Sturm und als der ältere Teenagersohn Malcolm auch noch dazustößt, gibt es einen weiteren Verbündeten. Giovanna kann sich der überbordenden Nachbarschaft nicht entziehen, wird bald zur unentbehrlichen Nanny und wahrt trotzdem immer ihr Geheimnis. Als der Großvater Pietro eines Tages auftaucht, beginnt die Aufarbeitung der Vergangenheit Fahrt aufzunehmen.

Ravera zeigt mit dieser Geschichte auf die Wunden, der noch immer nicht aufgearbeiteten, politischen Geschichte Italiens seit den 1970-er Jahren, lässt ihre Giovanna so viele kluge Sätze schreiben, urteilt nicht und kriegt sogar einen romantischen Schluss hin. Mehr als „nur“ Strandlektüre.
In ihrer Jugend war die italienische Feministin Lidia Ravera die Stimme der Frauen ihrer Generation, sie schrieb in den 70er Jahren das fiktive Tagebuch «Schweine mit Flügeln», das sich weltweit über 3 Millionen mal verkaufte. Heute ist sie es wieder.
Lidia Ravera: Sprich mit mir (Rowohlt Verlag) Übersetzt von: Annette Kopetzki, Euro 24,-