„Nichts geht verloren“ wenn Judith Holofernes zurückblickt

Wann genau das FSM-Interview mit der Band Wir sind Helden in Wien stattfand, ist nur mehr schwer rauszufinden, Tatsache ist, dass einem junge Menschen gegenübersaßen, die trotz ihrer Popularität komplett down to earth waren. Als wären Freunde aus Berlin zu Besuch!
Nach der Lektüre von Sängerin Judith Holofernes Erinnerungen an ihre Zeit als Teil von „Wir sind Helden“ wundert es einem noch mehr, wie alle Bandmitglieder trotz Stress, den Promotionreisen generell mit sich bringen, so locker waren.

Mit großer Klarheit und Zartheit und dem ihr eigenen Witz schreibt Holofernes über Fluch und Segen des frühen Erfolgs der Helden; über die Vereinbarkeit von Familie und Frontfrausein; über die öffentliche Wahrnehmung des eigenen Körpers, das Aufwachsen mit ihrer lesbischen Mutter in Freiburg; über die tiefen Einschnitte in ihrem Leben, die Zweifel, den Schmerz. Immer wieder geht es auch um die Musikbranche, um das Verhältnis zu ihren Fans, eigenartige Konzerte im Hellen, aber auch um die starren Mechanismen des Betriebs und den Sexismus.
Jede(r), der nur irgendwie etwas mit der Musikbranche zu tun hat, wird dieses Buch verschlingen: alleine ihre Schilderungen der Echo-Verleihung mit der mißlaunigen Popperia (weil kein Alkohol ausgeschenkt wurde!), dem Beharren auf dem Wort Schlager, den äußerlichen Zwängen, denen vor allem Frauen ausgesetzt sind, die Vermeidung jeglicher Schwäche, hervorgerufen durch Krankheiten, der Fokus der Branche auf Jugendlichkeit, die Schwierigkeiten als Solokünstlerin wahrgenommen zu werden und dann natürlich auch noch das Privatleben auf dem Laufenden zu halten, sind so genau getroffen, so nachvollziehbar, so verletzlich, dass man Judith am liebsten in die Arme nehmen würde und ihr sagen, wie großartig sie ist.

Und ob sie ungeschminkt nun aussieht wie „die verwirrte Lieblingstante von Boy George“ ist komplett egal, so lange sie weiterhin schöne Musik und gute Bücher schreibt!
Judith Holofernes: Die Träume anderer Leute (KiWi) Euro 24,-