Unberechenbar hält jung

Mit Sam Raymond hat die Autorin Dana Spiotta eine tatsächlich unberechenbare Hauptfigur erschaffen, die etwas macht, was viele Frauen sich in ihrem Alter (53) wünschen: Sie ändert ihr Leben.

Als sie sich in ein heruntergekommenes Haus im Problemviertel von Syracuse verliebt, kauft sie es kurzerhand. Und bemerkt erst zwei Atemzüge später, dass sie somit wohl ihre Familie verlassen wird. Fortan werden ihre Nächte von Selbstzweifeln und Polizeisirenen zerschnitten. Ihre Tochter antwortet nicht mehr auf ihre Nachrichten. Und in den Augen ihrer Mutter ist Sam ohnehin auf dem Ego-Trip. Sie trifft sich mit obskuren, anderen Frauen, die das Gegenteil derjenigen darstellen, mit denen sie bisher in ihrer Blase zu tun hatte: die klassischen SUV-Mütter. Früher als ihre Welt noch eingeteilt war in konservative Werte, wo man das Aussehen anderer mitleidslos als Mall-Rat-Ästhetik bezeichnete, wo man um die benachteiligte, weiße Arbeitsklasse einen großen Bogen machte und nur zum Jahrmarkt ging, um die dortigen BesucherInnen wie exotische Tiere zu begaffen. In ihrem neuen Leben ist sich Sam für nichts zu schade, blamiert sich in einem Stand-up-Club, geht zu Protestmärschen, versucht den völlig hingesetzten Hass vieler Benachteiligter zu verstehen und wird zur Zivilanklägerin in einem Drama.
Neben dieser späten Coming of Age Geschichte flicht Spiotta noch sehr viele gesellschaftskritische, feministische und architektonische Gedanken ein, sodass man fast Lust bekommt in ihre Heimatstadt Syracuse zu fahren oder selbige Analysen am schönen Wien anzuwenden.
Dana Spiotta: Unberechenbar (Kona Verlag) Euro 26,-
Aus dem Amerikanischen von Andrea O‘ Brien