Weil du smarter bist?

Oft wird behauptet, dass seit der Pandemie ein unüberbrückbarer Riss durch die Gesellschaft ging: hier die an Wissenschaft orientierten Aufgeklärten, da ein Pool an Esoterikern, Enttäuschten, Radikalen. Dass aber die Spaltung schon viel früher passierte, schildert der französische Bestsellerautor Nicolas Mathieu in seinem neuesten Roman höchst eindrücklich.
Das Connemara, nach dem Goncourt-Preisträger Nicolas Mathieu seinen jüngsten Roman benannt hat, ist ein Chanson von Michel Sardou aus den frühen Achtzigern, volltönend, pompös und melodramatisch. Alle in Frankreich kennen ihn, alle hören ihn. Aber wie man ihn hört – ironisch, nostalgisch, oder hingebungsvoll – das ist einer der berühmten feinen Unterschiede, die signalisieren, wo man herkommt, wo man hingehört.

Es geht um ein Paar in der Provinz: Hélène ist fast vierzig Jahre alt. Sie hat Karriere gemacht, geheiratet, zwei Töchter bekommen und lebt in einem Architektenhaus in der Nähe von Nancy. Sie hat sich den Traum ihrer Jugend erfüllt: abhauen, das Milieu wechseln, erfolgreich sein. Christophe hingegen hat die kleine Stadt im Osten Frankreichs, in dem er und Hélène aufgewachsen sind, nie verlassen. Er verkauft Hundefutter und führt ein unentschlossenes kleines Leben. Bis er Hélène wiedertrifft.
Man könnte sagen, dass sie es „geschafft“ hat, in eine höhere Gesellschaft aufgestiegen ist, in eine Welt die beherrscht wird von „kleinen Männern in blauen Anzügen„. Diese sehen nicht „was im Leben der Menschen los war, ihre träge Wut, ihr unterdrückter Zorn, der in den Städten und Dörfern schwelte, diese Millionen Leute, die über ihrem Teller vor sich hin grummelten, sich ungehört, unverstanden, nicht respektiert und vom Monatsende, der Migration und den Bossen bedroht fühlten und sich seit gut 50 Jahren in ihrem patriotischen Stolz und Fortschrittsglauben gekränkt sahen.
Dieser Plot, der im Privaten das Politische durchdekliniert, gibt so authentisch Auskunft über unsere Gesellschaft, dass man sich selbst immer wieder erwischt fühlt. Dem Autor gelingen höchst eindrückliche Bilder, sei es von der täglichen Routine in der Bar am Eck, vom dementen Vater, Eishockeymatches, sexuelle Anziehung, Musik bis hin zum Höhepunkt einer Hochzeitsfeier.
Ob einem ein gesellschaftlicher Aufstieg glücklich macht, wenn man dann trotz feiner Klamotten betrunken in den Festtisch kracht?
Ein überaus kluge, scharfe , unterhaltsame Abrechnung mit unserer Zeit!
Nicolas Mathieu: Connemara (Hanser Berlin) Euro 26,-