„Weil ich schwarz bin“

Nur am Anfang sieht man noch Robert de Niro vor sich, wenn Christian Brückner die ca. 18-stündige Lesung des James Baldwin Romans „Ein anderes Leben“ beginnt, schon bald verblasst dieses Bild und man befindet sich mit dem Erzähler im New York der 1950-er Jahre.
Es geht um eine Gruppe von Menschen, allesamt im künstlerischen Umfeld mehr oder weniger erfolgreich tätig, in Greenwich Village. Da gibt es quasi als Vorkapitel die Geschichte des begnadeten, schwarzen Schlagzeugers Rufus Scott aus Harlem, der sich aus welchen Gründen auch immer von der Brücke stürzt, dessen Schwester eine Beziehung mit Vivaldo, seinem ehemals „best Buddy“ beginnt, der wiederum gut befreundet mit Richard & Cass ist und dann kommt aus Frankreich noch sein ehemaliger Liebhaber Eric zurück. Um diese Figuren dreht sich die Geschichte, die vordergründig die Themen Rassen- und Geschlechterdiskriminierung behandelt, in Wirklichkeit ein zeitloses Abbild der amerikanischen Gesellschaft bildet.
Jedes kleinste Detail ist dem Autor wichtig, man könnte von ausufernd sprechen, hätte die Sprache nicht solch eine Qualität. Die Bekleidung zur Trauerfeier wird ebenso genau beschrieben, die Entscheidungen für oder gegen einen Schleier wie die erotischen Annäherungen der jeweiligen Figuren. Die verschiedenen Beziehungen sind allesamt hochtoxisch, wobei natürlich Ida und Vivaldo als gemischtrassiges Paar die meisten Konflikte er- und austragen müssen: „Weil ich schwarz bin, … weiß ich mehr darüber, was mit meinem Bruder passiert ist, als ihr je wissen werdet“, wirft sie in einem der vielen Streits dem italienischstämmigen Vivaldo zu.
Es wird viel geweint, gesungen, geraucht und getrunken und man weiß nicht so recht, wohin sich der Vortrag entwickeln wird, aber ist es nicht im Jazz auch oft so? Ob die Ankündigung, dass es sich dabei um Baldwins explizitestem, leidenschaftlichsten Roman handelt, eher dem Marketing geschuldet ist, lässt sich schwer eruieren, Tatsache ist, dass er tief in die Seelen seiner Figuren schaut.
James Baldwin: Ein anderes Land (dtv). Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow. Gelesen von Christian Brückner (Argon Verlag) Euro 30,-