Zurückkommen als Therapie

Montenegro ist für viele abgehakt, jetzt ist eines der noch unentdeckten Länder für Reisende in Europa Albanien. Wenig weiß man über diesen Staat, der über 40 Jahre von einem Diktatur regiert wurde, der heute mit Mafia zu kämpfen hat und doch als Sehnsuchtsort für eine vergangene Zeit steht. Das mag sich in unverbauten Küstenlandschaften als schön herausstellen, in gesellschaftlicher Sicht als nicht wünschenswert.
Die albanische Schriftstellerin Lindita Arapi hat über die noch immer vorhandenen, patriarchalischen Strukturen einen fesselnden Roman geschrieben.

Alba ist eine von Ängsten geplagte Enddreißigerin. Eine Sozialarbeiterin, die mit ihrem Mann, einem Informatiker, in Wien lebt. Zwar ist es ihr gelungen, das bedrückende Albanien ihrer Kindheit und Jugend zu verlassen und sich eine Existenz in Österreich aufzubauen. Doch das Erreichte kann sie nicht genie­ßen. Nirgendwo fühlt sie sich zu Hause, auch in ihrer Ehe nicht. Vielmehr erfährt sie dort erneut Entfrem­dung und Einsamkeit. Ihr Mann reagiert mit Unverständnis und Rückzug auf ihre Ängste, sie fühlt sich verlassen und verraten, als er eigene Wege geht. Einzig ihre Schwester Pranvera, die Schöne, Kluge, Starke ihrer Jugendjahre, steht ihr in abendlichen Telefonaten aus Albanien zur Seite. Diese ist in Tirana geblieben, hat sich den Gegebenheiten angepasst und versorgt die Jüngere mit konservativen Ratschlägen: „Wenn du Paartherapeuten wärst, würdest du im Westen mit diesen Vorstellungen keine Arbeit finden.
Als ihr Vater stirbt, kehrt sie in ihre Heimat zurück. Sie erlebt eine verlassene Stadt im Stillstand, einsame Alte, die den ganzen Tag auf einen Anruf der in den Westen emigrierten Kinder warten. Und Alba, die in Wien ein privilegiertes Leben führte, findet gerade in der alten Heimat zu einer neuen Bestimmung.
Lindita Arapi: Albanische Schwestern (Weidle). Aus dem Albanischen von Florian Kienzle
Euro 25,-